Dieses verdienstvolle Werk von Hella Loewe ist leider, bis auf die Ausgabe der englischsprachigen Übersetzung, vergriffen. Wir haben uns bemüht, die Erlaubnis der Verfasserin bzw. ihres Sohnes Jens Loewe als Verleger einzuholen. Leider blieb unsere Anfrage unbeantwortet.
Im Rahmen unserer Aktivitäten zum Thema “Werken mit den Kleinen” spielen die Plastizierübungen in der Methode Hella Loewes eine wesentliche Rolle. Wir wollen unseren Kursteilnehmern auf jeden Fall ermöglichen, Hella Loewes Gedanken dazu in ihren eigenen Worten lesen zu können. - Auf jeden Fall werden wir alles versuchen, um die Erlaubnis des Verlages für die Veröffentlichung in unserem Wiki noch zu bekommen.
Heike Birk & Thomas Verbeck, im Juli 2025

Einleitung 7
I. Aus der Unterrichtspraxis: Plastizieren mit Ton in einer ersten Klasse
Begrüßung und Unterrichtsbeginn - Gemeinsames plastisches Gestalten einer Kugel - Abschluss der Übung und Aufräumen - Anschließende mündliche Arbeit - Ausklang mit dem Erzählen eines Märchens- Rückblick am nächsten Morgen
II. Erarbeiten einer plastisch-künstlerischen Formenreihe mit Kindern - schrittweise Anleitung für die ersten drei Schuljahre
Von der Kugel zum plastischen Oval
Erste Umformung eines plastischen Ovals durch Sattelbildung
Von der Kugel zur plastischen Rechts-Links-Symmetrie durch Sattelbildung
Umformung der Rechts-Links-Symmetrie in eine asymmetrische Form
Vom plastischen Oval zu einer plastischen Rechts-Links-Symmetrie
Von einer Kugel zu einer abgeflachten Kugel
Vom plastischen Oval zu einer Form mit zwei Sattelflächen
Von der Kugel zur plastischen Dreier-Symmetrie
Die plastische Dreier-Symmetrie: Streckung, Standfläche, Fuß
Die plastische Dreier-Symmetrie wird weiter gegliedert
Ausblick auf das vierte Schuljahr und die Mittelstufe
III. Praktische Erfahrungen
IV. Wie es anfing
Die Not der Kinder erfordert neue, mutige Schritte - Eine pädagogische Forschungsarbeit zum plastischen Gestalten mit Ton in den ersten Schuljahren beginnt - Eine Formenreihe wird entwickelt
V. Über die Wirkungen des plastischen Gestaltens
VI. Angaben Rudolf Steiners zum plastischen Gestalten
in Auszügen, mit Anmerkungen von Hella Loewe
Anhang Verwendete Literatur
Das vorliegende Buch ist eine Frucht jahrelanger künstlerisch-therapeutischer Arbeit, die ich als Klassenlehrerin an einer Freien Waldorfschule mit allen Kindern einer Klasse jeweils im sogenannten Hauptunterricht durchgeführt habe.
Den entscheidenden Anstoß zu dieser - in den unteren Klassen bis dahin kaum üblichen - Arbeit gaben diejenigen Kinder einer ersten Klasse, die sich anfangs besonders auffällig gebärdeten und dadurch einen geordneten Unterricht erheblich erschwerten. Es galt also, Mittel und Wege zu finden, um den Willen dieser Kinder ihrem Alter entsprechend zu zügeln und zu stärken, ohne sie durch Druck oder Strafen zu disziplinieren.
In dieser Situation entschied ich mich für das Plastizieren[1] mit Ton, weil ich aus eigener Erfahrung die wohltuende, harmonisierende Wirkung des plastischen Gestaltens kannte und mir davon Hilfe für die einzelnen Kinder und auch für die ganze Klasse erhoffte.
Als Rudolf Steiner 1919 die Freie Waldorfschule und damit die Waldorfpädagogik begründete, betonte er nachdrücklich, dass von Anfang an großer Wert darauf zu legen sei, das Künstlerische im Kinde zu pflegen. „Das Künstlerische wirkt ja ganz besonders auf die Willensnatur des Menschen.“[2] Sein Konzept für den künstlerischen Unterricht im Plastisch-Bildnerischen in der Unterstufe umfasste von Anfang an das Formenzeichnen, das Aquarellmalen und das plastische Gestalten elementarer Formen. Diese drei sollten ein ausgewogenes Ganzes bilden. Zum Formenzeichnen und Malen gab er den Lehrern viele detaillierte Anweisungen und konkrete Beispiele. Beide künstlerischen Tätigkeiten werden seither an den Freien Waldorfschulen regelmäßig unterrichtet. Zum plastischen Gestalten in den ersten Schuljahren findet man in Rudolf Steiners pädagogischem Werk vergleichsweise wenige, dennoch deutliche Hinweise, aber leider keine konkreten Beispiele. Das ist wohl der entscheidende Grund, warum es in den Waldorfschulen bisher noch kaum Einzug gehalten hat.
Nach Rudolf Steiners Aussage hat das Kind mit Beginn des Zahnwechsels „ ... durchaus den Drang, Formen plastisch ... zu bilden.“[3] „Plastisches soll vor dem neunten Jahre beginnen, ... Auch beim Plastischen soll man ganz aus den Formen heraus arbeiten.“[4]
Die hier beschriebenen Erfahrungen basieren einerseits auf der Arbeit einer Forschungsgruppe zum plastischen Gestalten elementarer Formen mit Ton in den ersten Schuljahren, von der in Kapitel IV dieser Schrift genauer berichtet wird, und andererseits auf der schon erwähnten praktischen Arbeit. Sie mögen dazu beitragen, dass das Plastizieren seinen berechtigten und pädagogisch begründeten Platz neben dem Formenzeichnen und Malen in den Schulen erhalte und möglichst vielen Kindern Freude und auch Heilung von den Kränkungen unserer Zeit bringe.
Es ist schließlich nicht selbstverständlich, dass sich ein Kind in der heutigen Zeit - am Anfang des 21. Jahrhunderts - gesund entwickeln kann. Die veränderten gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen unter denen Kinder in unserer hochtechnisierten Welt heute aufwachsen, führen häufig dazu, dass ihre seelischen und geistigen Bedürfnisse nicht mehr befriedigt werden. Der erhöhte Wettbewerbs- und Rationalisierungsdruck wirkt nicht nur in die Elternhäuser hinein, sondern auch schon in die Kindergärten und erst recht in die Schulen. Als Folge der Pisa-Studie werden die Lehrpläne umstrukturiert und der Leistungsdruck auf die Kinder aller Altersstufen, sogar im Vorschulbereich, wird verstärkt. Daher gilt es mehr denn je, darauf hinzuwirken, dass der ganze Unterricht mit einem künstlerischen Element durchdrungen werde. - Eine andere schwerwiegende Beeinträchtigung für die gesunde Entwicklung der heutigen Kinder ist - wie wir alle wissen - der starke Einfluss der elektronischen Medien. Deren schädigende Wirkung ist wissenschaftlich vielfach dargestellt und belegt worden[5]. Um dem Drang der Kinder in die virtuelle, leblose Welt, die ja ohne große Mühe durch Tastendruck erreichbar ist, entgegenzuwirken, müssen die verantwortlichen Erwachsenen deshalb heute bewusst Alternativen suchen.
Das kann dadurch geschehen, dass sie den Kindern wieder einen Zugang zu den Quellen des Lebendigen erschließen; dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Vor allem durch künstlerische Mittel kann hier ausgleichend, helfend und heilend gewirkt werden. Je weniger die Kinder heute mit ihren Gliedern, insbesondere mit den Händen tun können, desto notwendiger ist es, sie verstärkt zu sinnvoller, aber zweckfreier, künstlerischer Betätigung anzuregen. Denn nur aus intensiver eigener Aktivität können sich bleibende Fähigkeiten bilden.
Auch das plastische Gestalten kann den Kindern den Zugang zum Schöpferischen, zu den Werdeprozessen in der Natur und in der Kunst erschließen, und zwar in einer besonderen Weise. Denn es schult die Hände mit ihren vielfältigen Möglichkeiten Formen zu empfinden und zu erfassen, und es trägt dazu bei. den Kindern ein feines Raumgefühl zu vermitteln. Schließlich bildet es den Tastsinn in intensiver Weise aus und fördert dadurch wahrscheinlich nicht nur den Spracherwerb[6], sondern es hilft auch, das Selbstvertrauen der Kinder zu stärken.
Nachdem in den Jahren 2000 und 2001 bereits kürzere Berichte von mir über das plastische Gestalten mit Ton in den unteren Klassen in zwei pädagogischen und einer medizinisch-pädagogischen Zeitschrift erschienen waren, wurde ich durch das rege Interesse vieler Leser zu einer ausführlicheren Darstellung ermutigt.
Für wertvolle, weiterführende Hinweise zu der nun vorliegenden Arbeit möchte ich Hilde Berthold- Andrae, Matthias Karutz, Dr. Ernst-Michael Kranich, Gottfried Lesch und Dr. Claudia Mckeen herzlich danken. Mein herzlicher Dank gilt auch Andreas Burz, der die plastischen Formen mit künstlerischem Einfühlungsvermögen fotografierte und Hubert Weiß, der mit seiner Gestaltung alle Text- und Bildmaterialien sensibel zu einem kunstvollen Ganzen zusammenfügte. Und last but not least möchte ich meinem Sohn Jens Loewe herzlich dafür danken, dass er tatkräftig für eine zügige Veröffentlichung des Buches sorgte.
Stuttgart, im Oktober 2004, Hella Loewe
Die Räume für die beiden ersten Klassen liegen im ersten Stockwerk der „Alten Villa“ - dort, wo die Freie Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart vor mehr als 50 Jahren ihren Anfang nahm. - Es ist Ende Januar, ein Montagmorgen gegen 7.30 Uhr, draußen ist es noch dunkel, ein kalter Wind bläst ums Haus. Im Klassenzimmer hat die Lehrerin alles zum Empfang ihrer Kinder vorbereitet - 21 Buben und 18 Mädchen sind es, die ihr in diesem, ihrem dritten Klassenzug, anvertraut worden sind.
Da trippeln, poltern und stampfen die ersten Kinder die breite, alte Holztreppe hinauf und alsbald kommen sie auch ins Klassenzimmer, wo sie von ihrer Lehrerin begrüßt werden. Gleich fragen einzelne Kinder: „Oh, tonen wir heute wieder?“ „Darf ich nachher den Ton austeilen?“ „Ach, Tonen ist noch viel schöner als Malen!“ So klingt es da freudig. Genau wie am Maltag ziehen die Kinder nun ihre Schürzen oder Kittelchen an und setzen sich dann erstaunlich schnell auf ihre Stühle. Diese stehen heute nicht im sogenannten Morgenkreis, sondern hinter den Tischen, so wie am Maltag. Sogar die wildesten und lautesten Buben finden sich - nachdem sie vor der Türe noch schnell ein Kämpfchen absolviert haben - an ihrem Platz ein.
Eine freudige Bereitschaft breitet sich in der kleinen Gesellschaft aus. Auf ein Zeichen ihrer Klassenlehrerin stehen alle Kinder auf und falten wie sie die Hände zum täglichen Morgenspruch: „Der Sonne liebes Licht, es hellet mir den Tag...“ klingt es da kräftig und vertrauensvoll hinaus in die Welt. Und während anschließend ein gemeinsames Morgenlied gesungen wird, geht die Sonne wirklich auf und scheint durch die Fenster des Klassenzimmers herein. - Eine Idealvorstellung? Gibt es das heute noch in einer ersten Klasse mit fast 40 Kindern? Das „Zaubermittel“ für diese erwartungsvolle, der Lehrerin ganz selbstverständlich folgende Kinderschar liegt an diesem Tag auf dem Tisch, der vorne vor der Tafel steht. Es ist noch unter feuchten Tüchern verborgen, unter denen sich mindestens 40 "Hügelchen“ abzeichnen: der in kindgerechten Portionen vorbereitete feine, helle Ton.
Nachdem die von der Lehrerin benannten freiwilligen Helfer - daran mangelt es nie - leise vor jedes Kind ein Malbrett auf den Tisch und anschließend jedem Kind eine Portion Ton darauf gelegt haben, warten die Kinder gespannt darauf, wann es nun endlich losgeht. Das ist fast eine Zerreißprobe; denn der schöne feuchte Ton da vor ihnen lockt sie, drängt sie, ihn in die Hände zu nehmen! Zu den „goldenen Regeln“ aber, die die Kinder für das Plastizieren immer wieder üben und einhalten lernen müssen, gehört, dass sie den Ton erst anfassen dürfen, wenn jedes Kind seine Portion erhalten hat und die Lehrerin nun ihren Tonkloß in die Hände nimmt. Das ist das Zeichen für den Beginn.
Endlich - ein frohes Aufatmen ist zu hören! „Lasst erst einmal probieren, wie sich unser Ton heute anfühlt . Und wie die Lehrerin halten die Kinder einmal den Ton an ihre Wangen und spüren, dass er ganz kalt ist. „Nun nehmt ihr ein kleines Stückchen von eurem Ton ab und legt es zur Seite. Wir wollen jetzt die übrige Tonmasse - ein Stückchen nach dem anderen - ganz fein mit den Fingerspitzen durchfühlen, durchtasten und so für unsere Arbeit zubereiten. Wer ein Steinchen oder Härchen in seinem Ton findet, der legt dies still beiseite.“
Alsbald beginnen die Kinder emsig und still zu schaffen. - Eine der wichtigsten „goldenen Regeln“ für das plastische Üben ist bei uns: „Der Mund schweigt, während die Hände arbeiten!“ Dass diese Forderung berechtigt und sachgemäß ist, wird dadurch offenkundig, dass sich alsbald ein deutlich spürbares Gefühl des Wohlbehagens im Klassenraum ausbreitet. Nachdem alle Kinder ihren Ton sorgsam durchgefühlt haben, nehmen sie ihn auf Anweisung ihrer Lehrerin - wie diese - in beide Hände - mit Ausnahme des zuvor beiseitegelegten Stückchens. Sie drücken die Masse so zusammen, dass sie sie mit beiden Händen umschließen können. Nun geht die Lehrerin herum und sorgt dafür, dass jedes Kind - entsprechend der Größe seiner Hände - so viel Ton hat. dass es ihn gerade noch umfassen kann. Das heißt, die Finger der rechten und der linken Hand des Kindes sollten sich dabei möglichst nicht mehr berühren können. Andernfalls hätte es zu wenig Ton und könnte dann nicht großzügig genug arbeiten.
Die Kinder sitzen aufrecht auf ihrem Stuhl, der einen deutlichen Abstand vom Schultisch haben sollte. Die Füße stehen mit der ganzen Sohle auf dem Boden. Die Lehrerin steht vorne vor ihrer Klasse und beginnt - gleichzeitig mit den Kindern - ihren Ton zu formen. Sie hält ihn etwa in Herzhöhe, umschließt ihn mit beiden Händen und drückt ihn abwechselnd - einmal mit der rechten, dann mit der linken Hand kräftig zusammen. Dabei dreht sie die Form stets etwas, um den Druck rundum gleichmäßig ausüben zu können. Sie achtet darauf, dass ihre Schultern und Arme dabei entspannt sind. Aus dieser lockeren Haltung heraus findet sie rasch in rhythmische und gleichzeitig kraftvolle Bewegungen hinein. Diese bewusste Körperhaltung der Lehrerin sorgt dafür, dass auch die meisten Kinder ihre Arme und Ellenbogen frei bewegen. Sobald ein Kind die Ellenbogen beim Plastizieren an den Körper presst, kann es nicht mehr frei atmen und arbeiten. Wenn alles gut geht, nehmen die Kinder die Bewegungen der Lehrerin unmittelbar auf, das heißt, sie machen diese Bewegungen gleichzeitig mit ihr, wie es dieser Altersstufe natürlicherweise entspricht.
Mit nur wenigen Worten begleitet die Lehrerin die Arbeit, beispielsweise so: „Ich bewege den Ton zwischen meinen beiden Händen hin und her und drücke ihn dabei kräftig zusammen. Ich fühle jetzt auch, wie es aus dem Inneren des Tons heraus gegen meine beiden Hände drückt. Ich forme den Ton mit meinen Hohlhänden. Ich runde ihn, während ich ihn immer wieder drehe. Nun wandert mein Daumen langsam über die Form hin, er ertastet die unebenen Stellen, er drückt, ebnet ein, schiebt ein wenig Ton in die Vertiefungen und gleicht sie so aus.“ - Dann arbeitet sie wieder schweigend weiter.
Indessen rundet sich die Tonmasse in den Händen der meisten Kinder immer mehr zu einer harmonischen Form. (Es kann vorkommen, dass ein Kind auch nach häufigem Üben seinen Ton nicht zu runden, nicht durchzugestalten vermag; in diesem Fall sollte geprüft werden, ob es zusätzlicher Hilfe bedarf). Nun lässt die Lehrerin die Kinder einmal eine kleine Weile mit geschlossenen Augen weiter arbeiten. Sie fühlen mit der Hohlhand die Rundung, sie gleichen Unebenheiten tastend und drückend aus, dabei ist auch das Fingerspitzengefühl aufgerufen. Nun hat also nicht nur der Mund „Arbeitspause“, sondern auch die Augen. Darauf lassen sich die allermeisten Kinder bei dieser Art von Tätigkeit bereitwillig ein. Nach dieser ganz nach innen gekehrten Phase des Übens werden die Kinder aufgefordert, die Augen wieder zu öffnen und nun ihre Form einmal auf eine ihrer beiden Handflächen zu legen und hochzuhalten, damit sie selbst und alle anderen auch anschauen können, was da inzwischen Schönes entstanden ist. Die Lehrerin geht in der Klasse herum, schaut sich die einzelnen Arbeiten an, lobt, bewundert, rät hier und da zu einer Verbesserung und weist vielleicht auf zwei, drei Arbeiten hin, die besonders schön gerundet und harmonisch gelungen sind. Das kann die Kinder anspornen, sich ihrer eigenen Form noch einmal mit liebevollem Interesse zuzuwenden, um etwaige Unebenheiten auszugleichen. - Dann ist der Moment gekommen, wo die Kinder ihre nun mehr oder weniger vollendete Form, an der sie etwa 20 bis 25 Minuten gearbeitet haben, an die eine Wange halten und das zu Beginn zur Seite gelegte Stückchen Ton gleichzeitig an die andere. Dabei ist das Erstaunen jedes Mal von neuem groß! Wie warm ist doch die bearbeitete, gerundete Form und wie kalt dagegen das unbehandelte Stückchen Ton'. Das berichten sich die Kinder natürlich gegenseitig und auch der Lehrerin.
Zum Schluss ritzt jedes Kind die Anfangsbuchstaben seines Namens mit dem Daumennagel behutsam in seine Form ein und legt diese vor sich auf dem Malbrett ab. Nun haben die Hände Arbeitspause! Nur vier fleißige Helfer gehen leise herum, sammeln vorsichtig die Formen ein und legen sie vorne auf Brettern auf dem Tisch der Lehrerin ab, wo sie bis zum nächsten Tag, mit feuchten Tüchern bedeckt, aufbewahrt werden. - Achtung! Dies ist ein heikler Moment! Denn noch liegen die restlichen Tonstückchen auf den Brettern vor den Kindern! Da heißt es, auch diese noch unter strenger Aufsicht rasch einsammeln und in die große, luftdicht verschließbare Tonkiste bringen zu lassen. Schließlich ist der Ton kein Spielzeug, sondern unser Arbeitsmaterial, das wir beim nächsten Mal wieder brauchen. - Rasch werden auch die Bretter noch eingesammelt und von anderen Helfern die Tische feucht abgewischt.
Vor der Tafel stehen vier Eimer mit Wasser jeweils auf einem Stuhl, da hängen auch Handtücher über der Stuhllehne. Die Kinder waschen sich der Reihe nach die Hände, die mit einer hauchdünnen Schicht von trockenem weißen Ton bedeckt, also nicht wirklich schmutzig sind.
Solange die Lehrerin in dieser Aufräumphase alle Kinder im Auge behält, geht die Sache gut. Die Situation ist in dieser Phase ganz ähnlich wie am Maltag.
Es hat sich als besonders fruchtbar und ökonomisch erwiesen, unmittelbar auf das plastische Üben eine gedankliche Arbeit, insbesondere eine solche, in der ein anspruchsvoller Umgang mit der Sprache angeregt wird, folgen zu lassen. In der ersten Klasse kann das etwa ein ausführlicheres Gespräch über das am Vortag erzählte Märchen sein. Oder, falls gerade eine Schreib-Epoche an der Reihe ist, kann man die Kinder Wortfolgen mit bestimmten Lauten, vielleicht auch solche, die sich reimen, suchen lassen. Wie sprudelt da der Sprachquell in guter Weise! Auch Kopfrechnen in Form von anschaulichen Rechengeschichten ist nach der intensiven Handarbeit erfolgreich! Nach solch lebendigem gedanklichen und sprachlichen Üben mit der Klasse, das etwa zwanzig Minuten dauern kann, bleibt der Lehrerin noch Zeit zum Erzählen eines Märchens, etwa fünfundzwanzig Minuten. So kann der Hauptunterricht an einem solchen Montagmorgen zur Zufriedenheit aller Beteiligten in einer schönen Stimmung abgerundet werden.
Am nächsten Morgen - nach dem gemeinsamen rhythmischen Üben des Sprechens und Singens - werden die Lehrerin und die Kinder zusammen auf das Plastizieren vom Vortag zurückblicken und dabei auch einzelne von den noch feucht glänzenden kleinen Kunstwerken auswählen und betrachten. Die Kinder suchen fast immer solche Arbeiten aus, die besonders einfühlsam und sorgfältig gestaltet worden sind. Dieser Rückblick ist zugleich ein Ansporn für das nächste Mal.
Zunächst sei gesagt, dass die im Folgenden beschriebene Formenreihe als Anregung für Pädagogen, möglicherweise auch für Therapeuten und Eltern zum Plastizieren mit Kindern gedacht ist. Dabei handelt es sich um elementare plastische Formen, die jeweils von der Kugel ausgehend geübt werden. Es geht also nicht darum, etwas plastisch zu gestalten, also etwas, das Dieses oder Jenes aus unserer Umgebung nachahmt. Die Kinder sollen sich durch die hier gezeigte Art des Plastizierens ein Formenempfinden und ein Raumgefühl für plastische Formen erwerben.
Daraus ergibt sich, dass die hier vorgestellte Formenreihe nicht etwa für Künstler gedacht ist. Auch sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Formenreihe exemplarischen Charakter hat. Man kann sie als Leitfaden benutzen, doch sollte man sie nicht dogmatisch übernehmen. Man sollte immer auf Grund individuell erlebter Einsichten mit den Kindern arbeiten.

Durch seitliches Drücken mit den gestreckten, nach oben ausgerichteten Händen und durch langsames Weiterdrehen um die gedachte vertikale Achse der Kugel entsteht ein plastisches Oval mit einem mehr spitz zulaufenden und einem rundlichen, stumpferen Ende. Dabei ist die Druckrichtung der Hände horizontal.
Nachdem sich die Kinder der ersten Klasse an etwa fünf bis sechs Übungstagen darum bemüht hatten, eine möglichst gleichmäßig gerundete, harmonische Form zu plastizieren, waren fast alle durch das wiederholte Üben der notwendigen Bewegungen so geschickt geworden, dass sie die zentrierte, runde Form, die Kugel, innerhalb von etwa fünfzehn Minuten zustande brachten. Diese diente nun als Grundlage für die erste Formverwandlung. Bevor ich mit den Kindern die neu zu erlernenden Handgriffe übte, lenkte ich ihr Bewusstsein zunächst auf ihre Hände:
„Nun legt eure Form für einen Moment ab und schaut einmal auf den Rücken eurer Hände, wir nennen ihn den Handrücken. Da könnt ihr sehen und fühlen, wie unterhalb des Handgelenks die Finger wie lange Strahlen aus der Handwurzel (für den Lehrer: die Handwurzelknochen) hervorgehen. In der Mittelhand sind sie noch zusammengefasst, dann treten sie als euer Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger und kleiner Finger einzeln in Erscheinung. Dadurch können sie sich mm wie einzelne kleine Gliedmaßen frei bewegen. Drehen wir die Hände um, so sehen wir, dass die Hand innen eine flache Wölbung ausbildet, wie eine kleine Schale; wir nennen diese auch den Handteller oder die Hohlhand. Der fünfte Fingerstrahl ist der Daumen, er tritt seitlich aus der Mittelhand hervor; er ist so beweglich, dass er jedem der anderen Finger einzeln begegnen kann. Probiert es einmal aus! Dort, wo aus der Mittelhand unsere vier Fingerstrahlen hervorkommen, da sind unsere Hände so kräftig (für den Lehrer: die Mittelhandknochen), dass wir sie in einer ganz bestimmten Art zum Formen nutzen können. Und das wollen wir jetzt ausprobieren.“
Diese Ansprache begleitet die Lehrerin selbstverständlich mit anschaulichen Gebärden der eigenen Hände. Sie lässt die Kinder die beschriebenen Teile der Hand auch an deren eigenen Händen selber fühlen und zeigen.
„Ich nehme meine runde Form jetzt so zwischen meine beiden Hände, dass ich sie mit diesem mittleren Teil behutsam drücken und dadurch allmählich nach oben und unten hin strecken kann. Dabei drehe ich die Form nach jedem Druck langsam in der gleichen Richtung ein kleines Stückchen weiter. (Für den Lehrer: dieses Drehen um die senkrechte Mittelachse wird der Symmetrie wegen gemacht). Ich drücke und drehe jeweils ein Stückchen weiter, ich drücke und drehe weiter. Nun versucht ihr auch, eure Form so zu strecken, wie ich es euch vorgemacht habe!“
Nach einer Weile, während der ich die besprochenen Bewegungen auch an meiner Form weiter durchgeführt habe, mache ich die Kinder aufmerksam: „Wenn wir jetzt innehalten, so erkennen wir, dass unsere ehemals runde Form schlanker und höher geworden ist. Wenn wir sie so aufrecht auf eine Hand stellen, können wir sagen, dass sie nun ein Oben und ein Unten hat. Den oberen Teil wollen wir nun rundum etwas mehr zusammendrücken als den unteren Teil. Dadurch entsteht am oberen Ende der Form eine kleine, ein wenig zugespitzte Kuppe. Sie ist stärker gekrümmt als das untere Ende der Form. Bei dieser Arbeit helfen uns die gestreckten Finger und die Fingerspitzen.“
Ich werde nun - gleichzeitig mit den Kindern - das obere Ende der Form mit den gestreckten Fingern nach und nach etwas stärker zusammendrücken als das untere Ende, wobei ich die Form wiederum langsam weiter drehe. Dabei achte ich gut darauf, dass ich sie - der Symmetrie wegen - dabei immer senkrecht halte. Zum Schluss verfeinere ich dieses stärker gekrümmte, obere Ende der Form, die Kuppe, noch mit dem Daumen.
Vormachen ist die Methode! Dann miteinander arbeiten, innehalten, betrachten, kurze verbale Anleitungen geben, auch hier eine Phase des tastenden Modellierens mit geschlossenen Augen. Dann wieder ein prüfendes, mehr bewusstes Tasten und Schauen mit offenen Augen - „mit dem durch das Auge gehenden Willen"[7] wird da die Form verfolgt. Wenn einzelne Kinder am Ende aussprechen: „Das ist ja ein Ei geworden!“ so widerspricht das nicht der hier praktizierten Methode. Sie haben einfach nach beendetem Übungsprozess zu der entstandenen Form die sachgemäße Bezeichnung hinzugefügt und das ist durchaus berechtigt. Die Lehrerin wird das bestätigen und kann vielleicht noch hinzufügen, dass ein Ei meistens ein mehr spitziges und ein stumpfes Ende hat.
Beim Betrachten der Arbeiten am folgenden Tag wird noch offensichtlicher, was die Lehrerin schon beim Üben am Vortag beobachtet hatte, nämlich, dass einige Kinder die Kugelform nur zaghaft, vorsichtig gedrückt und dadurch nur wenig gestreckt haben, sodass diese noch recht rundlich aussieht. Bei anderen Kindern ist die plastizierte Form in der unteren Hälfte noch ziemlich rund geblieben und nach oben hin zu spitz geworden. Viele Kinder aber haben ihre Form so geschickt gedrückt und gedreht, dass sie sie dabei zuerst nach oben und unten gleichermaßen strecken und dann oben, einem Oval entsprechend, abrunden konnten.
Man wird die Kinder auf die Unterschiede aufmerksam machen, man wird sie die Formen in altersgemäßer sprachlicher Form beschreiben lassen, dabei natürlich helfen, wenn nötig, und dann vielleicht alle Formen entsprechend gruppieren.
Aus diesem Betrachten ergeben sich für die Lehrerin schon Variationsmöglichkeiten für das wiederholte Üben der ovalen Form an den folgenden drei bis vier Plastizier-Übungstagen. Falls die Klasse insgesamt die ovale Form noch zu ungeschickt gestaltet haben sollte, so tut man als Lehrerin gut daran, bei der Wiederholungsübung zunächst einmal ein Oval mit zwei annähernd gleich gekrümmten Enden mit den Kindern zu plastizieren und erst am folgenden Übungstag wieder eines mit zwei unterschiedlich gekrümmten Enden. Durch das Wiederholen der Bewegungen und Handgriffe lernen die Kinder so immer besser, ihre Form rhythmisch und gleichmäßig um die gedachte senkrechte Mittelachse zu drehen, sie dabei in horizontaler Richtung zusammenzudrücken und dadurch gleichzeitig in vertikaler Richtung zu strecken. Obwohl es nicht ganz leicht ist, die obere Hälfte der Form stärker zusammenzudrücken als die untere und dabei gleichzeitig die Symmetrie der gesamten Form im Auge zu behalten, können die Kinder es schaffen. Wenn sie bei dieser Arbeit wirklich ganz aufrecht sitzen, wird es ihnen gelingen, denn dann fließt ein Kraftstrom von der Wirbelsäule über die Schulterblätter in die Schultern und Arme bis in die Hände. Diese Kraft verbindet sich mit dem tastenden Formenempfinden zum Formgestalten. „Und das ist das Wesen des künstlerischen Empfindens, dieses Einswerden mit der Form, dieses Mitleben mit der Form.“[8]
Dieses erste bewusste Einprägen einer Vertiefung mit dem Daumenballen in die plastische Form ist ein elementares Erlebnis für die Kinder. Denn sie schlüpfen dabei in eine Formgebärde, die sie in ihrer frühen Kindheit, als innere Plastiker am eigenen Leibe ausgeführt haben. - Die Vertiefung wird anschließend durch eine wiegende Bewegung von Daumen und Daumenballen zu einer doppelt gekrümmten Fläche, einer Sattelfläche, ausgearbeitet.
Nachdem ich wiederum mit den Kindern ein Oval plastiziert habe, lenke ich nochmal ihr Bewusstsein auf die Hände: „Ihr wisst nun, wie wir mit beiden Händen den Ton zu einer Kugel runden können. Ihr habt auch gelernt, diese Kugel mit dem kräftigen Mittelteil eurer Hände so zu drücken und dabei in einer bestimmten Richtung weiter zu drehen und dadurch zu strecken, dass ihr eine schöne ovale Form gestalten könnt.
Nun haben wir ja an jeder Hand diesen tüchtigen Gesellen, den Daumen, mit dessen Hilfe wir etwas tun können, was wir bisher noch nicht versucht haben. Unterhalb des Daumens ist hier der besonders kräftige, etwas gerundete Ballen, den wir den Daumenballen nennen. Prüft einmal, wie er sich anfühlt!
Jetzt lege ich die ovale Form flach auf meine linke Hand. Mit dem Daumenballen meiner rechten Hand drucke ich nun - zunächst behutsam, dann nach und nach etwas fester - eine Vertiefung in die Form.
Dabei liegt der Daumenballen am besten schräg zur Form; denn so schmiegt er sich ganz natürlich in das Oval hinein. Das macht ihr jetzt auch so!“ Wenn das geschehen ist, zeige ich den Kindern, wie ich den Daumen samt Daumenballen in der eben entstandenen Vertiefung hin und her bewege. Eine 'hegende Bewegung ist es, mit der ich diese Vertiefung so erweitere, dass schließlich eine Sattelfläche entsteht. Dann gilt es, schöne Übergänge zu gestalten zwischen dieser Sattelfläche und den übrigen gekrümmten Flächen des Ovals. Dabei ist der Daumen wiederum der geeignete Helfer. - Damit die Kinder ein Gefühl für die neue Form als Ganzes bekommen, lasse ich sie diese mit beiden Händen gleichzeitig umfassen und rundherum abtasten. Dabei können sie unebene Stellen mit dem Daumen ausgleichen und ihre Form - so wie ich es ihnen vormache - bestmöglich vollenden.
Man wird diese Sattelbildung am besten zwei bis drei Mal wiederholen, aber möglichst an unterschiedlichen Ovalformen. Einmal wird man von einem plastischen Oval mit zwei gleich gekrümmten Enden ausgehen, das nächste Mal von einem mit zwei unterschiedlich gekrümmten Enden.
Konnte die Sattelbildung beim liegenden plastischen Oval noch ziemlich freizügig gestaltet werden, so soll sie jetzt symmetrisch ausgeführt werden. Dabei sind Gleichgewichtssinn. Tastsinn, Sehsinn, Bewegungssinn und Lebenssinn besonders gefordert, damit eine harmonische Rechts-Links-Symmetrie gelingen kann.
In der zweiten Klasse üben die Kinder im Formenzeichnen zunächst Formen, die sich auf der ebenen Fläche an einer senkrechten Achse spiegeln: die Rechts-Links-Symmetrie-Formen. Das ist darin begründet, dass das sieben- bis achtjährige Kind die achsiale Symmetrie einer Form am sichersten erfasst, wenn die Achse senkrecht wie die Symmetrieebene des eigenen Leibes liegt. Dies zeigt uns, wie eng das Erfassen der Symmetrie mit der Wahrnehmung des eigenen Gleichgewichts zusammenhängt.[9] Diese Erfahrung übertrug ich auf das plastische Gestalten einer dreidimensionalen Rechts-Links-Symmetrieform mit den Kindern dieser Altersstufe.
Die runde, in sich zentrierte Form war wie schwebend im Gleichgewicht zwischen innen und außen entstanden durch die rhythmische, drückende Bewegung der beiden Hohlhände. Eine erste Vertiefung und Sattelbildung hatten die Kinder an der liegenden ovalen Form geübt, wobei oben und unten, rechts und links noch freilassend behandelt wurden. Das Wesentliche war dabei gewesen, die nach innen gekrümmte Fläche zu erleben und diese sodann als Sattelfläche zu gestalten. Der nächste Schritt erfordert ein bewusstes Erfassen von rechts und links im Zusammenklang mit oben und unten.
Ausgehend von der runden Form führe ich die Kinder in etwa folgender Weise: „Ich lege die runde Form auf meine linke Hand; die Stelle, mit der sie auf meiner Handfläche aufliegt, will ich unten nennen. Nun lege ich die Außenkante meines rechten Daumens auf die genau gegenüber liegende Stelle, die nenne ich oben. Jetzt präge ich mit der Daumenkante oben eine leichte Vertiefung in meine Form, so dass dabei zwei gleich große Erhöhungen zum Vorschein kommen, eine rechts und eine links von der Vertiefung. Mit meinem Daumen und dem Daumenballen zusammen erweitere ich die Vertiefung, auch dieses Mal durch die wiegende Bewegung, die wir schon geübt haben. Das macht ihr nun auch!"
Dann gilt es, die Kinder mit verschiedenen Handgriffen dazu anzuregen, die plastische Rechts- Links-Symmetrie, die hier durch eine Sattelbildung entsteht, zu ertasten, zu erfühlen und schließlich ausgewogen zu gestalten. Hilfreich ist es dabei, nach einer Weile die Form mit beiden Händen so zu umfassen, dass die gebeugten Finger sich oben in die entstandene Sattelfläche schmiegen - nicht krallen! Nun kann das Kind dort mit den Fingerspitzen noch vorhandene Unebenheiten ausgleichen, stets aus dem Gefühl des inneren Gleichgewichts handelnd.
Danach drehen wir die Form 180° um die senkrechte Achse, damit wir die Sattelfläche auch von der gegenüber liegenden Seite aus betrachten und also symmetrisch formen können. Es ist günstig, dies mehrfach zu machen; denn das wird den Kindern helfen, die erforderliche Geduld aufzubringen und immer wieder ihr Augenmaß einzusetzen, damit sie diese Form weitgehend symmetrisch gestalten können.
Auch bei dieser Form geht es darum, schöne plastische Übergänge zwischen der nach innen gekrümmten Sattelfläche und den nach außen gewölbten Flächen zu schaffen. Alle scharfen Kanten sollten dabei vermieden werden.
Gegen Ende des Formprozesses lasse ich die Fläche der Form besonders fein bearbeitet wird. Auf Kinder die Form auch einmal umgekehrt auf eine diese Weise werden die Kinder im Laufe der Zeit Hand legen, also den oberen, gegliederten Teil unten in die Handfläche. Dann können sie mit der anderen Hand fühlen, dass die untere Hälfte der Form die Rundung beibehalten hat und dass die Formveränderung bisher nur in der oberen Hälfte erfolgt ist.
Auch diese Form sollte mehrmals geübt werden. Dabei ist es hilfreich, wenn man die Kinder zunächst einmal eine relativ schmale Sattelfläche in ihre runde Form einarbeiten lässt, weil sich dadurch die Rundung der Kugel noch nicht so stark verändert und deshalb leichter eine Rechts- Links-Symmetrie erreicht werden kann. Beim wiederholten Üben wird man sie dann dazu anleiten, die Sattelfläche breiter zu gestalten und gut auf die Veränderungen zu achten, die dabei auf der rechten und linken Seite der bisherigen Kugel geschehen. Bei jeder Wiederholung setze ich also bestimmte Akzente. Das nächste Mal lege ich beispielsweise besonderes Gewicht darauf, dass diese Form schön füllig bleibt und nicht etwa kantig und mager wird. Ein anderes Mal betone ich mehr, dass die Oberfläche der Form besonders fein bearbeitet wird. Auf diese Weise werden die Kinder im Laufe der Zeit immer geschickter und selbstständiger im Umgang erste regelmäßige Gliederung der sphärischen Form mit dem Ton. Und so können sie sich auch diese immer bewusster aneignen.
Nun wird die zuvor bewusst gestaltete Rechts-Links-Symmetrie in eine asymmetrische Form verwandelt. Die eine Seite wird mit den formenden Händen „aufgeweckt“ während die andere noch „träumt“; dabei erfahren die Kinder, dass die Formensprache vielfältig und lebendig ist.
So weit vorbereitet, werden die Kinder sich dann gerne auf eine lebendige Verwandlung der zuletzt geübten plastischen Rechts-Links-Symmetrie einlassen. Zunächst wird diese noch einmal so wie bisher plastiziert. Dann kann man die Kinder etwa folgendermaßen anregen: „Ihr habt eure Form oben nun gleichmäßig fein gegliedert in eine rechte und eine linke Seite. Aber es scheint so, als ob sie schliefe, auch meine Form schläft noch. Jetzt will ich sie mit meinen warmen Händen aufwecken. Schaut zu, wie ich es mache! Regt sich da schon etwas im Innern? Die eine Seite reckt sich, streckt sich und will aus der Rundung heraus nach oben wachsen. Mit der Hohlhand helfe ich ihr dabei und schiebe behutsam etwas Ton aus der unteren, noch unveränderten Hälfte der Form nach oben - so, dass die Form außen dennoch gewölbt bleibt. Die andere Seite oben hat bisher noch geträumt, doch nun erwacht auch sie und reckt sich nach und nach ein wenig. Da staunt sie aber, dass ihr Gegenüber so gewachsen ist! Will sie auch so groß werden? Nein, sie möchte lieber noch ein Weilchen in Ruhe warten, und ich lasse sie gewähren. Nun weckt ihr eure Form auch auf!"
Etwas später dann: „Jetzt tasten unsere Hände den Weg zwischen der größeren und der kleineren Erhöhung ab und versuchen dazwischen, einen schönen, sanften Übergang zu formen. Auch den Übergang von der unteren Hälfte der Form zur oberen wollen wir fein gestalten." Nach wie vor ist es wichtig, dass die Kinder sich, während sie plastizieren, an meinen Bewegungen, an meinen Handgriffen orientieren können, nicht nur vorher, wenn ich die neue Aufgabe einführe.
Wie viel leichter und anmutiger wirkt diese plastische Rechts-Links-Symmetrie gegenüber derjenigen, die ausgehend von der Kugel gestaltet worden ist. Warum ist das so?
Nach den vorangegangenen Übungen bedarf es bei dieser Form nur weniger Worte zur Anleitung der Kinder. Wir gehen mit ihnen gemeinsam wiederum den Weg von der Kugel zu einem plastischen Oval. Alsdann lassen wir sie das Oval senkrecht auf die linke Handfläche stellen, möglichst so, dass das stärker gekrümmte Ende der Form nach oben gerichtet ist. Dann fordern wir die Kinder auf, mit dem Daumenballen eine Vertiefung in die Mitte dieser oberen Auswölbung einzudrücken. Von da an arbeiten wir weiter wie bei der ersten plastischen Rechts-Links-Symmetrie, bei der wir von der Kugel ausgegangen sind. Dabei kommt es vor allem darauf an, die beiden nun entstandenen Erhöhungen im oberen Teil der Form ganz ausgewogen, also gleich hoch und gleich gewölbt, eben symmetrisch, zu plastizieren, wobei die Übergänge von diesen Erhöhungen zu der dazwischen liegenden Sattelfläche und den übrigen nach außen gekrümmten Flächen auch bei dieser Form „gleitend“ und sanft gestaltet werden sollten. Zum Schluss wird die Form mit sanftem Druck auf das Brett gestellt, damit sie nicht umfällt. Die Kinder müssen dabei gut darauf achten, dass ihre Form ganz aufrecht steht; denn dadurch kommt die Rechts-Links-Symmetrie am schönsten zum Ausdruck.
Es gilt die Kugel oben und unten nur so weit abzuflachen, dass noch eine gewisse Wölbung erhalten bleibt. Dabei orientieren wir uns an der gedachten horizontalen Mittelebene, «m eine ausgewogene, symmetrische Form zu erhalten - eine plastische Oben-Unten-Spiegelungsform.
Hier sind die gekrümmten Flächen mit besonderem Augenmerk und Fingerspitzengefühl zu plastizieren. Drücken und Drehen führen hier zur Abplattung und nicht zur Streckung, wie beim Oval.
Bei der ersten Umwandlung der Kugel lernten die Kinder, die runde Form in die Vertikale zu strecken, gleichermaßen nach oben und unten hin. sodass ein plastisches Oval entstand. Dann wurde als weiterer Schritt eine erste Vertiefung mit Sattelbildung in das liegende plastische Oval geübt. Es folgten Formen, an denen, ausgehend von der Kugel, die plastische Rechts-Links-Symmetrie ertastet, entdeckt und geübt wurde. Beim Formenzeichnen geht man im Laufe der zweiten Klasse, nachdem mit den Achtjährigen eine Zeitlang die Rechts-Links-Symmetrie geübt worden ist. in der Regel zu den Spiegelungsformen mit einer horizontalen Achse über. So kann man auch beim Plastizieren vorgehen. Dieser Schritt von der Rechts-Links- zur Oben-Unten-Spiegelung einer Form ist im plastischen Gestalten, im eindimensionalen Raum, jedoch ein völlig anderes Erlebnis als jenes, welches man beim Zeichnen sicher Spiegelungsformen auf der Fläche hat.
Im Folgenden beschreibe ich einen Weg, den man als Lehrer mit den Kindern beim Plastizieren in dieser Richtung gehen kann.
Es wird zunächst wieder eine Kugel plastiziert, dann werden die Kinder folgendermaßen angeleitet: „Nun lege ich meine Kugel auf die linke Handfläche. Die Linke stützt jetzt und hält, während meine Rechte von oben gleichmäßig und sanft drückt, ich drehe meine Form ein wenig weiter um die senkrechte Achse und drücke noch einmal leicht von oben darauf. Jetzt wende ich die Form so, dass die Seite der Kugel, die zunächst unten in der Handfläche lag nun obenauf liegt. Wieder drücke ich leicht von oben, drehe dann die Form ein wenig weiter und drücke einmal sanft von oben darauf. Das, was ich euch gezeigt habe, versucht ihr nun auch!“ Dann arbeiten die Kinder und ich gleichzeitig. Wir wiederholen den Vorgang des sanften Drückens und Drehens mehrmals, wobei die Form - der Symmetrie wegen - immer wieder in der linken Hand umgewendet wird. Nach einer Weile des Übens: „Schauen unsere Formen nun an, so sehen wir, dass sie auf Seiten leicht abgeflacht erscheinen. Ob uns das auf beiden Seiten gleichmäßig gelungen ist, also oben und unten? Das prüfen wir mit Augenmaß, indem wir unsere Form auf die ausgestreckte linke Hand legen und auch den Arm dabei ausstrecken.“
Da ich die Form aber nicht weiter abflachen, sondern oben und unten eine gewisse Wölbung erhalten will, führe ich die Kinder folgendermaßen weiter: „Meine Form liegt wieder auf meiner linken Handfläche. Nun umspanne ich die obere, leicht abgeflachte Halbkugel mit meiner ganzen rechten Hand. Dabei liegen meine Finger eng nebeneinander. So drücke und runde ich nun gleichzeitig diese obere Halbkugel. Damit dies rundherum gleichmäßig geschehe, drehe ich die Form dabei Schritt für Schritt um die senkrechte Achse weiter, bis ich so einmal formend und drückend ganz herumgekommen bin. Danach wende ich meine Form in der linken Hand um und bearbeite nun in der gleichen Weise den bisher unteren Teil meiner Form. Das macht ihr nun ebenso, wobei ihr zwischendurch immer auch schauen könnt, wie ich es mache!“
Diesen Vorgang wird man - je nachdem wie die Formgestaltung voranschreitet - mehrfach wiederholen und dabei möglichst rhythmisch und gleichmäßig arbeiten.
Dann ist es nötig, wieder zu prüfen, ob die obere und die untere abgeflachte Halbkugel in Wölbung und Ausmaß rundherum einander entsprechen, eben, ob sie sich an einer gedachten horizontalen Mittelebene spiegeln. Um hier etwa entstandene Missverhältnisse auszugleichen, die nun erfahrungsgemäß am Rande der horizontalen Mittelebene, sozusagen am „Äquator“ der Form, auftreten, fahren wir folgendermaßen fort:
„Ich nehme die abgeflachte Kugel jetzt so zwischen meine beiden senkrecht nach oben gestreckten Hände, dass die abgeflachten Kugelflächen in meinen Hohlhänden liegen. Dabei begegnen sich meine Fingerspitzen oben, während sich unten meine Handwurzeln berühren. Indem ich die Form jetzt langsam, Stück für Stück (für den Lehrer: um die gedachte senkrechte Mittelebene) weiter drehe, spüre ich mit meinen Fingerspitzen, dass ich die vormals runde Kugel in diesem Bereich, in dem sieh die beiden abgeflachten Halbkugeln begegnen, ganz stark zusammengedrückt habe.“ (Für den Lehrer: Die vormals leichte Krümmung der Kugel ist hier nun zu einer wesentlich stärkeren Krümmung geworden.)
„Jetzt versuche ich, diesen besonderen Bereich rundherum gleichmäßig und schön zu gestalten, indem ich die Form hier mit den Fingerspitzen abtaste, wo nötig drücke und ausgleiche und dann immer wieder ein Stückchen weiter drehe. Das macht ihr jetzt ebenso!"
Dies ist eine ganz neue Herausforderung und Erfahrung für die Kinder, bei der sie ihr Formenempfinden und ihr Formbewusstsein weiter ausbilden und verfeinern können. Es ist hilfreich, die Form nach einigen weiteren Minuten des Plastizierens wiederum auf die weit ausgestreckte Hand zu legen und mit Augenmaß sorgfältig zu prüfen und zu schauen, ob die Krümmung dort, wo sie am stärksten sein soll, gleichmäßig geformt ist und ob sie tatsächlich rundum auf der horizontalen Spiegelungsebene verläuft.
Diese Aufgabe ist nicht ganz leicht für die Kinder, dennoch finde ich es angemessen, dies mit ihnen zu üben. Man rufe sich an dieser Stelle doch noch einmal die Aufforderung Rudolf Steiners, bezogen auf die ersten Schuljahre, ins Gedächtnis: „Rufen Sie im Kinde das Gefühl hervor, was für ein Unterschied ist zwischen Kreisbiegung und Ellipsenbiegung. Kurz, erwecken Sie das Formengefühl, bevor der Nachahmungstrieb erwacht ist!“[11] Diese Aufforderung Steiners habe ich hier auf die unterschiedlich gekrümmten Flächen einer Kugel und einer abgeflachten Kugel bezogen.
Man kann diese Form nach einigen Übungen in der zweiten Klasse ruhig „ruhen lassen“ und sie in der dritten Klasse wieder aufgreifen. Die Kinder werden sich freuen, wenn sie dann mit gesteigertem Formen-und Raumempfinden noch schönere Werke zustande bringen können als ihnen das vielleicht in der zweiten Klasse möglich gewesen ist.

Eine neue Herausforderung: Die beiden Sattelflächen sollen miteinander in Einklang stehen. Dabei geht es aber nicht darum, eine Oben-Unten-Spiegelung zu plastizieren wie in der vorangegangenen Aufgabe. Das Kind soll hier versuchen, ans seinem Formempfinden und aus Formenanschauung heraus eine schöne, ausgewogene Plastik zu gestalten.
Jeder Klassenlehrer hat erfahren, dass gerade die bildhaft-künstlerischen Übungen mit den Kindern - sei es nun das Formenzeichnen, das Malen mit Aquarellfarben oder Wachsmalkreiden oder eben das Plastizieren - am besten gelingen, wenn er sieh spätestens am Abend vor dem jeweiligen Unterricht tätig übend mit der Form, den Farben, dem Motiv beschäftigt und diese Erfahrungen mit in die Nacht hineinnimmt. So kann man die Sicherheit gewinnen, die man für die gestaltenden Handgriffe und für die rechte Wahl seiner Worte braucht, wenn man die Kinder zu künstlerischem 'hin anregen will. Diese Erfahrung kann auch für die nun folgenden Formverwandlungen hilfreich sein.
Wir plastizieren zunächst - ausgehend von der Kugel ein Oval. Dabei arbeiten wir rasch und achten vor allem auf die Formgebung. Die Bearbeitung der Oberfläche kann dabei zunächst vernachlässig! werden, weil diese später noch verändert wird. Ich lege nun das Oval flach in meine linke Hand und drücke in die rechte Hälfte der Form mit
Daumen und Daumenballen meiner rechten Hand eine anfängliche Vertiefung in das Oval, die ich dann weiter zu einer Sattelfläche ausarbeite, so wie ich es mit den Kindern schon zuvor geübt habe (Vgl. Nr. 2 der Formenreihe). Nun drehe ich die Form in meiner Handfläche um ISO - sodass die eben plastizierte Sattelfläche nach unten zu liegen kommt. Dann drücke ich in die linkte Hälfte der nun oben liegenden Seite des Ovals - ebenso mit Daumen und Daumenballen - eine Vertiefung ein und arbeite auch diese zu einer Sattelfläche aus. Wenn ich die Form nun betrachte, umwende und wieder betrachte, so erscheint sie mir zunächst noch plump.
Deshalb gilt es jetzt, die beiden Sattelflächen mit Formgefühl und Augenmaß schöner auszuarbeiten. Dabei plastizieren wir abwechselnd einmal an der oberen und einmal an der unteren Sattelfläche und versuchen, beide in ein harmonisches Verhältnis zueinander zu bringen. Das soll nicht heißen, dass sie sieh spiegelbildlich entsprechen müssten. Wenn es uns nötig erscheint, werden wir die Sattelflächen weiter vertiefen und / oder vergrößern und dabei auf jeden Fall auf schöne Übergänge zwischen den nach innen gekrümmten Flächen und den sich anschließenden Auswölbungen achten. Die nun mehrfach gekrümmten Flächen dieser neu entstehenden Form erfordern ein feines Abtasten, ein sensibles Einfühlen in die Formgestalt. Bei dieser Form ist es besonders wichtig, die Kinder mehrmals zu einer Phase des tastenden Plastizierens mit geschlossenen Augen zu veranlassen, damit sie so die Form immer wieder als Ganzes erfühlen und dabei prüfen können, ob die Eintiefungen und die Auswölbungen sowie die Übergänge zwischen diesen sieh schön gerundet in die Hände schmiegen. Nachdem wir eine Weile weiter gearbeitet haben, stellen wir die Formen auf die weit ausgestreckte Hand und schauen unsere eigene sowie die Formen der Nachbarn prüfend an. Dabei entdecken wir vielleicht miteinander, was wir an dieser neuen Form noch schöner gestalten könnten. Wenige Minuten später werden wir die Arbeit dann abschließen. Die Kinder wissen ja schon aus Erfahrung, dass ihnen eine neue Form beim zweiten Versuch schon viel besser gelingen wird!
Wenn es der Fortgang der Hauptunterrichts-Epoche erlaubt, können wir jedoch ausnahmsweise einmal ganz anders verfahren, nämlich am nächsten Morgen noch einmal eine Viertelstunde auf eine schönere Ausgestaltung dieser noch unvollständigen Form verwenden.
Können wir uns als Lehrer zu diesem Schritt entschließen, so veranlassen wir nun die Kinder, ihre Formen vorsichtig in ein dünnes feuchtes (nicht nasses!) Tuch und anschließend in eine Plastikfolie einzuhüllen und dann mit einem Namensschildchen zu kennzeichnen - so wie wir es ihnen vormachen. Da wir mit diesem Verlauf der Dinge gerechnet haben, ist dazu alles von uns vorbereitet worden.
Wir wissen durch Rudolf Steiner, dass der Ätherleib während der Nacht nicht untätig ist. „Der Äther- oder Bildekräfteleib hat durch seine eigene innere Schwingungskraft immer die Tendenz, das was wir ihm beibringen, von selbst zu vervollkommnen, weiterzubilden. ... Wir müssen nur in entsprechender Weise diesem Äther- oder Bildekräfteleib Gelegenheit geben, diese Dinge, die wir ihm beibringen, weiter zu vervollkommnen.“[12] „Kurz, man bekommt auf diese Weise die Möglichkeit, dass das Kind auch asymmetrische Symmetrien zur Anschauung sich bringt. Und dadurch bereitet man während des Wachens den Äther- oder Bildekräfteleib dazu vor, während des Schlafens fortwährend weiterzuschwingen, aber in diesen Schwingungen das beim Wachen Durchgemachte zu vervollkommnen. Dann wacht der Mensch, das Kind, am Morgen auf in einem innerlich bewegten und organisch bewegten Bildekräfteleib, und damit auch physischen Leib. Das bringt eine ungeheure Lebendigkeit in den Menschen hinein.“[13]
Beim eigenen Formenzeichnen und auch beim Formenzeichnen mit den Kindern können wir immer wieder erleben, dass die am Tage geübten Formen während der Nacht in uns, bzw. in den Kindern, harmonisiert und vervollständigt werden, sodass wir, bzw. sie, eine am einen Tage geübte Form am nächsten schöner und vollkommener als zuvor gestalten können. Das gilt mit Sicherheit auch für das Plastizieren.
Die Kinder werden am nächsten Morgen gerne an die weitere Ausarbeitung ihrer Form gehen. Der Zeitaufwand ist nun viel geringer als an einem gewöhnlichen Plastizier-Übungstag und deshalb auch zu verantworten.

Durch schrittweise Einwölbung und Ausweitung der oberen Kugelhälfte erhalten wir drei gleichmäßig gerundete Erhöhungen. Zwischen diesen drei Erhöhungen entstehen drei gleichmäßige Sattelflächen und im Zentrum eine flache Mulde. Mit Fingerspitzengefühl und geschickten Daumenbewegungen gestalten wir die Übergänge zwischen diesen Formelementen und gelangen so Schritt für Schritt zu einer harmonischen dreigegliederten Form, die wiederum Grundlage für viele weitere Formverwandlungen ist.
Zunächst wird eine Kugel plastiziert und auf dem Brett abgelegt. Dann führe ich die Kinder folgendermaßen: „Heute musst ihr mit euren Augen besonders aufmerksam an meinen Händen ablesen, was ich euch zeige! Ich nehme die runde Form so in meine beiden Hände, dass meine beiden Daumen obenauf nebeneinander liegen. In dieser Haltung drücke ich mit den vorderen Daumengliedern kräftig in den Ton. Nun löse ich die Hohlhände ein wenig von der Form ab - die Finger halten die Form aber weiterhin fest. Ich öffne meine Daumen, die immer noch oben auf der runden Form liegen, so, dass sie zusammen ein großes „A“ bilden. Dabei bleiben die Daumenkuppen eng beieinander und der übrige Teil der beiden Daumen bildet jeweils einen Schenkel des Buchstaben „A“. In dieser Stellung präge ich jetzt das „A“ kräftig in den Ton ein. Das versucht ihr nun auch, während ich diese Handgriffe gleich noch einmal mit euch zusammen mache.“ Das Ergebnis dieser Bemühungen sind zwei Vertiefungen, an deren äußerem Rand etwas Ton herausgequollen ist, und eine Erhebung. Diese Markierungen sollen uns helfen, eine regelmäßige Dreigliederung der oberen Formhälfte zustande zu bringen (eine Dreier- Symmetrie strebe ich an).
Zu den Kindern spreche ich etwa so weiter: „Ihr seht, an dieser Stelle drängt und schiebt es nach oben, der Ton wölbt sich herauf, wächst aus der Form heraus. An der gegenüberliegenden Stelle aber, da ruht er noch, da schläft er noch. Diese Stelle vertiefe ich jetzt ein wenig mit dem Daumen. Seht, rechts und links daneben, da drängt es von innen heraus, es quillt Ton nach oben. Der lässt sich von unseren Händen formen und runden. Der Daumen spürt und tastet ab, was sich da so lebendig aus der Dunkelheit ans Licht gedrängt hat. Er gleicht die Abstände zwischen den drei kleinen Auswölbungen, die wir nun vor uns haben, aus.
Jetzt schmiegen sich die Hohlhände seitlich um die Form. Beide Daumen und einen Mittelfinger legen wir jeweils in eine der Ausbuchtungen, die zwischen den drei Wölbungen entstanden sind. Während wir die Form langsam um die senkrechte Achse in einer Richtung weiterdrehen, greifen wir mit den drei Fingern immer wieder neu in die drei Ausbuchtungen, dabei formen wir und gleichen Unebenheiten aus.
Dann wandert der Daumen tastend über die Auswölbungen hin, schiebt hier und da noch etwas Ton von der Außenseite der Form herauf, um die Auswölbungen fülliger zu machen. Er wandert über die Wege, die zwischen ihnen liegen und gelangt dabei in die sanft eingewölbte Mulde in der Mitte und von dort wieder zurück. Dabei formt er behutsam die Wege, die hinauf und hinunter führen. Immer belebter und schöner wird da das Ganze.“
Nachdem wir so eine Weile zusammen gearbeitet haben, umfassen wir die Form mit beiden Händen und drehen sie langsam um die senkrechte Mittelachse. Dabei drücken wir von außen seitlich vorsichtig die obere Hälfte der Form ein wenig zusammen, drehen und drücken wiederholt. (Für die Lehrerin, den Lehrer: Die Druckrichtung ist horizontal!) Dies soll uns helfen, die drei Auswölbungen schön beieinander zu halten; denn sie sollen möglichst nicht zu breit ausufern. Legen wir die Form nun umgekehrt auf eine Hand, so sehen wir, dass sie unten rund geblieben ist, nur die obere Hälfte haben wir verwandelt, dreigegliedert. - Danach gilt es noch, den Übergang zwischen der oberen und der unteren Hälfte zu prüfen, abzutasten, etwaige kleine Dellen, Risse und Beulen auszugleichen. Zuletzt wandert der Daumen noch einmal über die ganze Form hin und vollendet sie. - Für diese Aufgabe benötigte ich mit meinen Klassen 30, höchstens 35 Minuten reine Plastizierzeit, danach die Zeit für das Aufräumen.
Streckung, Standfläche und Fuß
Die zunächst kugelig gelagerte, noch etwas plumpe Form wird nach unten hin durch regelmäßiges Drücken und Drehen der Form um die vertikale Achse langsam gestreckt. Dann wird sie fest hingestellt, sozusagen „geerdet“; dadurch entsteht eine ebene Standfläche.
Sie erhält schließlich durch einen „Fuß“ mehr Leichtigkeit und damit eine stärkere Beziehung zu dem sie umgebenden Raum.
Nachdem ich mit den Kindern diese Dreier-Symmetrie-Form wiederholt geübt hatte, sodass die meisten von ihnen sie geschickt oder wenigstens sie recht geschickt plastizieren konnten, ging ich mit ihnen einen Schritt weiter. Um diesen nächsten Schritt verständlich zu machen, möchte ich daran erinnern, dass diese, wie alle anderen von der Kugel abgeleiteten Formen, ja wie schwebend im Gleichgewicht etwa in Herzhöhe, von den Kindern plastiziert worden waren. Nur ab und zu wurden die Formen auf der weit ausgestreckten Hand prüfend betrachtet. Dabei hatten viele Formen unten noch unverändert die volle Kugelrundung behalten; einige andere Formen wurden nach Beendigung des Plastizierens aus statischen Gründen bereits mit sanftem Druck hingestellt.
Jetzt galt es, die Form, mit der sich das Kind bisher eng verbunden gefühlt hatte, mehr von ihm abzulösen. Es sollte nun lernen, die plastizierten Formen auch aus größerer Distanz zu betrachten, als Objekte im Raum.
Die Lehrerin muss beobachten, wann der Zeitpunkt für diesen neuen Bewusstseinsschritt im Laufe des dritten Schuljahres gekommen ist, wann die Klasse im Großen und Ganzen dafür reif ist. Rudolf Steiner hat dieses Entwicklungsstadium - den so genannten „Übergang über den Rubikon“ - in seinen pädagogischen Vortragszyklen mehrfach charakterisiert. Für mich hat sich der folgende Gedankengang Steiners in meinem Umgang mit den Drittklässlern immer wieder bewahrheitet: „Es kommt also schon wesentlich auf die Art der Aufmerksamkeit an, die man auf das einzelne Kind und die man auf die Gesamtklasse richtet. ... (Es) kommt ganz unweigerlich in diesem Zeitpunkt das Kind an den Führer, an den Lehrer heran und stellt allerlei Fragen.... es kommt darauf an, dass durch das, ich möchte sagen, Undefinierbare, das sich gerade in diesem Lebenspunkte zwischen Führer und Kind entwickeln muss, das Kind eine empfindungsgemäße Anschauung darüber in sein Gemüt eingesetzt bekommt: Ich habe bisher zu meinem Lehrer aufschauend gestanden: jetzt kann ich es nicht mehr, ohne dass ich weiß, dass der Lehrer zu irgendetwas aufschaut, das im Leben auf irgendeine Weise drinnen begründet ist.... Das braucht das Kind zwischen dem neunten und zehnten Jahre, und das hängt zusammen mit der objektiven Wendung in dem Kinde, dass es sich eigentlich bis dahin von der Welt draußen, von der Umwelt nicht unterschieden hat. und dass es jetzt das Bedürfnis bekommt, innerlich ein Mensch zu sein, ein abgeschlossenes Individuum, und sieh der Außenwelt gegenüberzustellen."[14a]
Habe ich als Lehrerin also den Eindruck gewannen, dass meine dritte Klasse an diesem Lebenswendepunkt angekommen ist. so werde ich beobachten können, dass die Kinder beispielsweise mit Begeisterung üben, Kanons und zweistimmige Lieder zu singen, dass sie aber auch beim Plastizieren bereit sind, neue Wege zu gehen.
Deshalb fordere ich sie an unserem Übungstage nun dazu auf, ihre dreigegliederte Form so zwischen die gestreckten Hände zu nehmen, dass die bisher unveränderte Rundung nach unten zeigt und leite sie wie folgt an: „Ihr beginnt jetzt mit dem kräftigen mittleren Teil eurer Hände - es sind die Mittelhandknochen - eure Form nach unten hin zu strecken, wie wir es früher schon an der plastischen ovalen Form geübt haben. Ihr dreht also eure Form langsam um die gedachte senkrechte Achse und dabei drückt ihr sie, dreht sie weiter und druckt sie wiederum. So streckt ihr sie nach und nach, Oben verändert ihr sie dabei aber nicht mehr."
Nachdem die Kinder daran eine Weile gearbeitet hatten und die Formen nach unten hin deutlich schlanker geworden waren, forderte ich sie auf: jetzt stellt eure Form fest und aufrecht vor euch auf der. Tisch! Dann kniet euch einmal hin und schaut sie genau und zwar von allen Seiten.“ Durch das feste Aufstellen erhalt die Form eine ebene markante Standfläche. Die Verschlankung nach unten gibt ihr eine gewisse Leichtigkeit, was die Kinder bei der plastizierten Rechts-Links-Symmetrie, die ausgehend von einem Oval plastiziert worden war, schon erlebt hatten, damals aber eher unbewusst. Die-e Dreier-Symmetrie-Form hat, indem sie nun fest steht und nicht wie die vorhergehenden Formen kugelig gelagert ist eine neue Beziehung zu dem sie umgebenden Raum bekommen. Die Kinder erlebten dies mit Freude und Genugtuung. In der Nachbesprechung anderntags spielte dieses Erlebnis eine wichtige Rolle.
Beim nächsten Mal ließ ich die Kinder noch einmal eine oben dreigegliederte Form plastizieren und diese wiederum nach unten hin strecken, aber stärker als das erste Mal. Dabei sollten sie darauf achten, dass die Form durch das kräftigere Strecken nicht die Fülle im oberen Bereich verliere, was nicht ganz einfach ist. Die Form wurde dann - wie das letzte Mal - fest hingestellt und rundum betrachtet. „Wie schön wäre es doch, wenn diese Formen noch ein wenig mehr Leichtigkeit hätten!“ Das ergab unsere gemeinsame Begutachtung, nachdem wir uns im Klassenzimmer umgeschaut hatten.
„Aber wie können vor das denn erreichen?“ war die Frage einzelner Kinder. Daraufhin zeigte ich den Kindern, wie sie mit dem Daumen am unteren Rand der Form eine knapp einen Zentimeter breite, nur wenige Millimeter zurückversetzte Stufe, eben einen „Fuß“, einarbeiten können. Die Wirkung eines solchen Handgriffes ist erstaunlich: die Form steht dann immer noch aufrecht und fest auf dem Untergrund, doch sie erscheint leichter und anmutiger als zuvor; sie hat nun wirklich eine Beziehung zu dem sie umgebenden Raum bekommen. Das sehen die Kinder. - Um diese neue Raum-Erfahrung für die Kinder noch zu vertiefen, kann man nun solche relativ schwer zu gestaltenden Formen wie die abgeflachte Kugel oder die liegende Form mit zwei Sattelflächen wieder aufgreifen. Beim wiederholten plastischen Gestalten einer solchen Form wird man die Kinder nun dazu anregen, die Form während des Arbeitsprozesses hin und wieder vor sich auf das Malbrett zu stellen, sie mit Abstand prüfend zu betrachten und sich zu fragen, ob die Form im Gleichgewicht zwischen oben und unten erscheint, ob sie schon genügend Leichtigkeit hat oder noch zu schwer auf dem Untergrund lastet. Dabei werden die Kinder wichtige neue Erfahrungen machen können.
Betrachtet man als Lehrerin die Arbeiten der Kinder nach dem Üben sorgfältig, so ergeben sich stets Ansatzpunkt und Ideen zum Weiterführen der Arbeit am folgenden Übungstag.
Nach den vorangegangenen Übungen zeigte ich den Kindern, wie sie die ihnen vertraute plastische Dreier-Symmetrie noch lebendiger gliedern können. Da galt es zunächst, die bisher geübte Form weiter nach unten hin in die Vertikale zu strecken (Druckrichtung horizontal) und dabei doch im oberen Bereich die Fülle zu erhalten. Dann machte ich vor, wie ich mit Daumen und Daumenballen eine weitere Vertiefung etwa in der Mitte der Form, also unterhalb des dreigegliederten Teiles, rundherum in die Form einarbeite. Im weiteren Verlauf des Plastizierens ging es einerseits darum, den Übergang zwischen den Auswölbungen im oberen Teil der Form und der neuerdings eingearbeiteten Vertiefung in der Mitte schön zu gestalten. Und andererseits galt es, den Übergang zwischen dieser Vertiefung und dem unteren, in die Vertikale gestreckten Teil der Form auszuarbeiten. Das lässt sich recht gut erreichen, wenn man zunächst mit beiden, nebeneinander gehaltenen Daumen gleichzeitig an dieser neuen Vertiefung arbeitet und die Form dabei Stückchen für Stückchen um die senkrechte Achse weiter dreht.
Danach kann man die Feinheiten mit einem Daumen weiter ausplastizieren. Das gelang beim ersten Mal nur wenigen, eben sehr geschickten Kindern, im weiteren Übungsverlauf aber auch vielen anderen Kindern. - Die hier abgebildeten Arbeiten der Kinder zeigen, wie unterschiedlich ein jedes - bei gleicher Anleitung durch die Lehrerin - seine Form gestaltet hat. Darin spricht sich die individuelle Ausdrucksmöglichkeit des einzelnen Kindes aus.
Die fertigen Formen der ganzen Klasse boten wiederum reichlich Anregung zum Wiederholen der Übung mit abgewandelter Aufgabenstellung und unter Einbeziehung der gemachten Erfahrungen.
Im vierten Schuljahr ist die menschenkundliche Situation der Kinder eine ganz andere als bisher und darauf antwortet der Lehrplan der Waldorfpädagogik.
Im plastisch-bildnerischen Bereich - wie in allen anderen Unterrichtsgebieten - werden die Kinder nun vor ganz neue Aufgaben gestellt.
Wurde beim Malen bisher ganz aus der Farbe heraus und weitgehend ungegenständlich gearbeitet, so werden nun beispielsweise Tiere und Pflanzen in ihrer natürlichen Umgebung gemalt. Im Zusammenhang mit der Heimatkunde sind Naturstimmungen zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten gut geeignete Themen für das Aquarellmalen; dabei spielt der Horizont, der Übergang zwischen Himmel und Erde oder Meer, stets eine wichtige Rolle.
In der vierten Klasse können die Schüler das Zeichnen verschiedener Flechtbandmuster in Verbindung mit der germanischen Mythologie als eine neue künstlerische Herausforderung erleben. Hier gilt es, das Bewusstsein für eine weitere Dimension im Umgang mit der Linie zu schärfen. Zu den schon bekannten Raumesrichtungen rechts-links und oben-unten tritt an den Formen der verschlungenen oder geflochtenen Bänder und auch Knoten nun als dritte Dimension die Raumesrichtung hinten-vorne hinzu, die deutlich heraus gearbeitet werden muss.
Im Plastizieren sind die Kinder schon von der ersten Klasse an mit dreidimensionalen Formen vertraut gemacht worden. Hier haben sie sich im Laufe der drei ersten Schuljahre ein zunehmend feines Empfinden für plastische Formen und ein wachsendes Bewusstsein für den dreidimensionalen Raum erwerben können, ohne dabei Gegenständliches aus der sie umgebenden Welt nachzuahmen.
Sie können mit diesem elementaren plastischen Formempfinden, das ihnen nun - mehr oder weniger frei zur Verfügung steht, in der Mittelstufe an neue Aufgaben herangeführt werden. Dazu bieten sich viele verschiedene Möglichkeiten.
So kann das Plastizieren eine wunderbare Bereicherung in der Menschenkunde sein, im Sinne des von Rudolf Steiner im Torquay-Kurs beschriebenen Weges.[14]
Ein anderes naheliegendes Feld für das plastische Gestalten bietet die Erde selber, nämlich in der Heimat- und Erdkunde. Täler und Hügel der näheren Heimat können in der vierten Klasse zuerst durch den Lehrer charakterisiert werden, dann auf einer ersten, einfachen Landkarte[15] gezeichnet und schließlich mit den eigenen Füßen durchwandert werden. Wenn die Kinder die Täler und Hügel dieser Landschaft danach noch mit Ton auf Malbrettern plastisch gestalten dürfen, dann ist auf diese Weise sicherlich das Interesse des ganzen Menschen, vor allem sein Willensleben, intensiv in Anspruch genommen worden.
Aus diesem Bereich sei auch ein selbst praktiziertes Beispiel angeführt: Ich habe in der Erdkundeepoche in einer sechsten Klasse den Schülern zunächst die Nördlichen und die Südlichen Kalkalpen sowie die kristallinen Zentralalpen mit ihren charakteristischen Bergformen und Flusstälern anschaulich geschildert. Nachdem auch eine Landkarte der Alpen gezeichnet worden war, skizzierte ich für die Schüler einige Tage später lediglich ein Profil, also einen Querschnitt, durch die Alpen von Nord nach Süd an der Tafel und forderte sie dann auf, jeweils zu zweit auf Malbrettern mit reichlich Ton das Formprinzip dieser Alpenformationen in ihrem unterschiedlichen Charakter ohne eine weitere Anleitung von mir plastisch zu gestalten. Die Schüler arbeiteten daraufhin mit so großer Freude und mit so viel schöpferischem Elan, dass ich nur staunen konnte. Die Arbeiten wurden gegen Ende des Hauptunterrichtes mit feuchten Tüchern, bzw. Plastikfolien bedeckt und am nächsten Tag vervollständigt. Die Ergebnisse zeigten größtenteils, dass die Aufgabe mit geschultem Formenempfinden ergriffen und weitgehend gemeistert worden war, dass hier Hände kreativ gearbeitet hatten, die im plastischen Gestalten geübt waren.
In der sechsten Klasse werden die Kinder gemäß dem Lehrplan der Waldorfpädagogik in die Geometrie eingeführt. Bis zum sechsten Schuljahr wurden die geometrischen Formen. Kreis, Dreieck und so weiter herausgeholt aus dem Zeichnen, nachdem in den ersten Jahren das Zeichnen für den Schreibunterricht getrieben wurde. „Dann sind wir allmählich dazu übergegangen, aus dem Zeichnen, das wir für den Schreibunterricht getrieben haben, beim Kinde kompliziertere Formen zu entwickeln, die um ihrer selbst willen, um des Zeichnens willen betrieben werden ... In diese Sphäre leiten wir den Zeichen- und Malunterricht im vierten Schuljahr, und im Zeichnen lehren wir. was ein Kreis, eine Ellipse ist und so weiter.... Das setzen wir noch fort, durchaus auch immerzu plastischen Formen hinführend…“[16]
Nachdem die Kinder in dieser Weise vorbereitet worden sind, lernen sie in der sechsten Klasse nun, geometrische Formen mit Zirkel und Lineal zu konstruieren, die Konstruktionen verbal möglichst exakt zu beschreiben und schließlich denkend zu begreifen. Dabei bietet sich wiederum auch das plastische Gestalten als ideales künstlerisches Mittel zum Be-greifen (im ursprünglichen Wortsinne) und zum Empfinden der räumlichen Formen an. Man
kann hier, auch ausgehend von der Kugel, zunächst den Würfel, dann die verschiedenen Pyramidenformen, den Kegel, das Ellipsoid, und später, vielleicht in der siebten Klasse, auch die komplizierteren platonischen Körper aus Ton mit den Schülern plastizieren. - Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass in der Bothmer-Gymnastik, die in der Regel im Rahmen der Turnunterrichts an den Waldorfschulen praktiziert wird, in der sechsten Klasse auch geometrische Formen mit dem Stab geübt werden, beispielsweise Dreiecke und Vierecke.
Dieser künstlerische Übungsweg im plastischen Gestalten, der auf den Anregungen Rudolf Steiners basiert, ist durch das konkrete Unterrichtsbeispiel aus einer ersten Klasse (im ersten Kapitel) und durch die dargestellte Formenreihe (im zweiten Kapitel) bereits anschaulich geschildert worden. Dabei wurden nebenbei schon verschiedene methodische Hinweise für den Lehrer gegeben. Im Folgenden sollen die wesentlichen pädagogischen Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Plastizieren jahrelang von mir praktisch erprobt worden sind, beschrieben werden.
Da geht es zunächst um die Vorbereitung auf den Unterricht: Die Grundbedingung für ein Gelingen der Arbeit mit den Kindern ist die, dass sich die Lehrerin mit dem Plastizieren der elementaren Formen wirklich vertraut macht, und zwar nicht allein durch Lesen, sondern vielmehr durch praktisches Üben. Wenn man die Gelegenheit hat, an Plastizierkursen, die von einem Bildhauer oder einer Bildhauerin gegeben werden, teilzunehmen, so sollte man diese möglichst wahrnehmen, um überhaupt erst einmal in das plastische Gestalten hineinzufinden und sich künstlerisch anregen zu lassen. Bevor man mit seiner Klasse - sei es nun eine erste, zweite oder dritte - zum ersten Mal im Unterricht plastiziert, ist es ratsam, spätestens am Tag vorher zumindest die Kugel noch einmal in aller Ruhe für sich alleine zu plastizieren. Sicher ist es hilfreich, sich dabei die eigene Körperhaltung und alle notwendigen Bewegungen und Handgriffe, so wie man sie den Kindern zeigen möchte, deutlich bewusst zu machen. - Wie in den beiden vorangehenden Kapiteln dargestellt, spielt die Art und Weise, wie man als Lehrerin zu den Kindern spricht.
wenn man sie zum plastischen Gestalten anregen will, eine wichtige Rolle. Ich benutze in diesem Falle keine sprachlichen Bilder, wie ich sie den Kindern in den drei ersten Schuljahren beispielsweise beim Aquarellmalen in Form einer Farbengeschichte gebe. Denn es geht bei diesem künstlerischen Übungsweg nicht darum, die Phantasie der Kinder anzuregen, und es geht auch nicht darum, ihnen eine irgendwie geartete Zielvorstellung von dem zu gestaltenden Objekt zu vermitteln. Dagegen gilt es. die Kinder zu ganz bestimmten feinsinnigen und differenzierten Bewegungen anzuregen, damit sie sich ein Gefühl für die elementaren plastischen Formen erwerben können. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um das zu erreichen.
So bringe ich die Kinder in einer ersten Klasse am leichtesten in den von mir beabsichtigten Bewegungsablauf, indem ich gleichzeitig mit ihnen beginne zu üben. Dabei erlernen die meisten Kinder die neuen Bewegungen dank der noch vorhandenen Nachahmungskräfte in der Regel relativ rasch. Ich werde dieses gemeinsame Tun nur mit wenigen verbalen Anleitungen begleiten. Dieser methodische Weg wurde in dem konkreten Unterrichtsbeispiel aus einer ersten Klasse beschrieben. - Die zweite Möglichkeit, die Kinder mit den neuen Bewegungen vertraut zu machen, ist die, dass man sie ihnen zunächst vormacht und dabei beschreibt, was man tut. Währenddessen sitzen die Kinder in Ruhehaltung an ihrem Platz; vielleicht legen sie dabei die Unterarme einfach übereinander oder verschränken die Arme, damit sie die Bewegungen der Lehrerin konzentriert beobachten können. Ihren Tonkloß oder ihre im Werden begriffene Form fassen sie derweil nicht an. Durch das ruhige Zuschauen und Zuhören erhalten die Kinder zunächst eine Bewegungsvorstellung. Wenn man sie dann auffordert, diese Bewegungen auch zu machen, und zwar nun gleichzeitig mit der Lehrerin, impulsiert man dadurch den Willen der Kinder. Diese zweite Möglichkeit wird man eher in einer zweiten und dritten Klasse wählen. Man braucht sie aber vor allem auch dann, wenn man eine kompliziertere Bewegungsabfolge und schwierigere Handgriffe einführen will. Wie und wann man diese beiden methodischen Möglichkeiten anwendet, hängt selbstverständlich auch von der Verfassung der jeweiligen Klasse ab. die man im plastischen Gestalten unterrichten will. Jedenfalls gilt in beiden Fällen: Vormachen ist die Methode! - Nun ist auch beim Üben dieser plastischen Formenreihe - wie beim Unterrichten aller Arten von Handgeschicklichkeiten - das Vormachen der Bewegungen mit der verbalen Anleitung durch die Lehrerin eng verbunden. Deshalb ist es auch so wichtig, das eigene Bewusstsein auf die Sprache zu lenken. – Der Bewegungsprozess bei dieser Art des Plastizierens lässt sich am lebendigsten durch Verben beschreiben, etwa durch „formen, drehen, wenden, drücken, strecken, glätten, schieben, wandern“ und viele andere mehr. Die Adjektive verfeinern und differenzieren die Verben: „Sanft drücken, behutsam strecken, langsam drehen ... .“ Man sollte es nach Möglichkeit vermeiden, zu viele Substantive zu gebrauchen und solche nur dann benutzen, wenn man keine andere Wahl hat, beispielsweise „Richtung, Erhöhung, Hohlhand, Daumen ....“ - Um sich zu dieser Art des Sprechens zu erziehen, muss man üben. Das gelingt einem am besten, wenn man sich alleine in einen Raum, vielleicht in „sein“ Klassenzimmer, zurückzieht und in Gedanken an die Kinder und im Bewusstsein der entsprechenden Altersstufe, laut sprechend seine Bewegungen begleitet, während man eine Form plastiziert. - In diesem Zusammenhang überlegt man sich auch, wann man während des plastischen Gestaltens im Unterricht eine Zäsur machen wird, entweder, um die nächsten Handgriffe zu zeigen und zu beschreiben oder um eine Weile mit geschlossenen Augen üben zu lassen, oder aber, um die Arbeiten einmal auf der ausgestreckten Hand betrachten zu lassen.
Dass man sich außerdem noch eine weiterführende mündliche Unterrichtseinheit zur jeweiligen Epoche, beispielsweise im Fach Deutsch, überlegen muss und den Erzählstoff für den nächsten Tag vorzubereiten hat, ist nicht einfach, aber wichtig für das Gelingen eines erfreulichen Hauptunterrichtes.
Zur Vorbereitung gehört auch, dass man den Ton für die Kinder entweder am Abend vor dem Übungstag oder am Morgen, mindestens eine halbe Stunde bevor die ersten Kinder ins Klassenzimmer kommen, portioniert und mit feuchten Frottiertüchern bedeckt. Außerdem wird man die Wassereimer zum Händewaschen, die Handtücher sowie die Eimerchen und Putzlappen, die zum Abwaschen der Tische nach dem Plastizieren gebraucht werden, herrichten. - Wenn man die einzelnen Arbeitsschritte in dieser Weise im Voraus bedenken kann, hat man als Lehrerin am nächsten Tag die notwendige Sicherheit, um den Kindern heiter und gelassen zu begegnen und auch auf Unvorhergesehenes geistesgegenwärtig reagieren zu können.
In diesem Abschnitt wird der Vollständigkeit halber einiges von dem wieder aufgegriffen, was in Kapitel eins und zwei schon kurz behandelt worden ist.
Eine erste Klasse muss bestimmte Gewohnheiten erlernen, damit künstlerische Übungen, die mit größerem Materialaufwand verbunden sind, wie das Aquarellmalen oder das Plastizieren, überhaupt durchgeführt werden können. So lernen die Kinder schon während der ersten Maltage, die sie in der Regel vor der Einführung des Plastizierens erleben, dass Schwamm, Wasser, Pinsel und Farben erst dann angefasst und benutzt werden, wenn die Lehrerin das vereinbarte Zeichen dazu gibt. Ist dieses Verhalten schon eingeübt, so fällt es den Kindern beim plastischen Üben dann nicht so schwer, auch den Ton, der vor ihnen auf dem Malbrett liegt, erst dann anzufassen, wenn es die Lehrerin erlaubt. Kann ein Kind sich nicht an diese Abmachung halten, so muss das Konsequenzen haben. Das sollte man den Kindern in aller Ruhe und Güte klarmachen und vor allem entsprechend handeln. Da die Kinder außerordentlich gerne plastizieren, ist es für jedes von ihnen ein schmerzliches Erlebnis, wenn sein unbeherrschtes Herumspielen mit dem Ton vor Beginn des Übens zur Folge hat, dass es an dem Tag nun gar nicht mitplastizieren darf. Ein solches Kind bekommt anstatt des Tons dann ein Zeichenblatt und kann während des allgemeinen plastischen Übens mit Wachskreiden malen. Die Kinder lernen aus solchen Konsequenzen erstaunlich schnell!
Eine andere Gewohnheit, die die Lehrerin mit ihrer Klasse im Zusammenhang mit dem Plastizieren einübt, ist diese: „Der Mund schweigt, während die Hände arbeiten!“ Dies ist die wichtigste der schon erwähnten „Goldenen Regeln“. Auch diese wird relativ schnell von den Kindern befolgt - jedoch aus einem anderen Grunde als die zuvor beschriebene. Die Lehrerin wird zwar auch hier Verstöße gegen die Regel nicht durchgehen lassen. Aber der eigentliche Grund dafür, dass sich gleich nach dem Beginn des plastischen Übens eine große, erfüllte Ruhe im Klassenzimmer ausbreitet, ist der, dass die Kinder sich bei der stillen, aber intensiven Arbeit mit dem Ton außerordentlich wohl fühlen und anscheinend nicht mehr solch ein starkes Bedürfnis haben zu reden. Eine andere Situation ist es freilich, wenn die
noch nicht fertige Form während des Übens von den Kindern einmal auf die ausgestreckte Hand gelegt und betrachtet wird. Da ist dann ein kurzes Gespräch zwischen den Kindern und auch zwischen der Lehrerin und den Kindern erlaubt und wirklich angebracht. Die Kinder lernen schnell, diese unterschiedlichen Situationen auseinander zu halten und die Regeln zu respektieren.
Nachdem die Kinder in die Unterseite ihrer fertigen Form die Anfangsbuchstaben ihres Vor- und Zunamens mit dem Daumennagel eingeritzt haben, werden die Formen von zuverlässigen Helfern eingesammelt. In den nun folgenden Minuten muss die Lehrerin streng auf die Einhaltung der Regeln, die für diese Phase des Aufräumens vereinbart worden sind, achten, sonst ist das Chaos vorhersehbar! Das bedeutet: Der restliche Ton bleibt, wie angeordnet, auf den Brettern liegen. bis er von den Helfern eingesammelt und in die Tonkiste gebracht wird. Auch die Bretter bleiben auf den
Tischen liegen, bis die Helfer sie abholen. Während die Tische von anderen helfenden Händen möglichst rasch abgewaschen werden, können die übrigen Kinder sich in den Eimern, die auf vier Stühlen in der Nähe der Wandtafel bereitstehen die Hände waschen. Seife ist dabei nicht notwendig, Handtücher hängen über Stuhllehnen. - Je besser das Aufräumen im Voraus bedacht und organisiert worden ist, desto weniger unliebsame Überraschungen gibt es hier. Die Lehrerin behält am besten den Überblick über die helfenden und vor allem über die in diesen Minuten unbeschäftigten Kinder, wenn sie im Klassenzimmer vorne mit dem Rücken zur Tafel steht. Andernfalls riskiert sie, dass es drunter und drüber geht und dass der restliche Ton zum Schluss auf dem Fußboden herum liegt anstatt in der Tonkiste und dass alle Kinder wild durcheinander rennen. Soweit darf man es auf keinen Fall kommen lassen. Die Frage „Wie gehen wir nach Beendigung der Übung mit dem Material um und wie halten wir dabei die erforderliche Disziplin aufrecht?“ gilt schließlich ebenso für den Maltag wie für das Plastizieren - man kann sie durchaus in den Griff bekommen.
Die Nachbereitung der Plastizierübungen kann für die Lehrerin außerordentlich aufschlussreich sein. Betrachtet sie nach dem Unterricht in aller Ruhe alleine die Formen der Kinder, so erfährt sie viel über das einzelne Kind. Die Formen zeigen, wie aufmerksam ein Kind den Anleitungen gefolgt ist, wie geschickt oder ungeschickt, wie geduldig oder ungeduldig es plastiziert hat, wie feinsinnig oder grob es das Material behandelt hat, und bisweilen auch, wie viel Emotionen oder Aggressionen, die ein Kind umtreiben, in den Ton, in die Form eingeflossen
sind. Mit der Zeit lernt man, die „Plastizierhandschrift“ der einzelnen Kinder zu lesen, geradeso, wie man aus ihren Aquarellbildern viel über ihr Wesen und auch über ihr Temperament erfahren kann. - Es ist aus pädagogischen und unterrichtsökonomischen Gründen ratsam, die plastischen Formen gleich am nächsten Morgen nach der Übung zusammen mit den Kindern noch einmal anzuschauen und zu besprechen, so wie man es in der Regel mit den Aquarellbildern nach jedem Maltag macht. Die Formen liegen dann schon für alle sichtbar vorne auf dem Tisch der Lehrerin, wenn die Kinder ins Klassenzimmer kommen. So können die interessierten Kinder schon einmal alle Formen sehen, jedoch ohne sie anzufassen.
Später, nach Beendigung des rhythmischen Anfangsteils, das heißt nach dem gemeinsamen sprachlichen und musikalischen Üben, fragt die Lehrerin die Kinder, wie der Ton am Tag zuvor denn bearbeitet und geformt worden sei. Sie fragt nicht etwa, was plastiziert worden sei. Sie lässt dann ein Kind, wenn nötig, vielleicht auch mehrere den Vorgang kurz verbal beschreiben. In einer ersten Klasse wird sie den Kindern dabei auch helfen, die passenden Worte zu finden. Wenn der Arbeitsvorgang auf diese Weise wieder ins Bewusstsein der Kinder geholt worden ist, werden nacheinander zwei bis drei Kinder aufgerufen, nach vorne zu dem Tisch zu kommen, auf dem die Formen liegen. Sie dürfen jeweils zwei Formen auswählen, die ihnen besonders auffallen oder gefallen und sie der Klasse zeigen, indem sie sie hochhalten. Wenn sie auch noch beschreiben möchten, was ihnen an der einen oder anderen Form aufgefallen ist oder gefällt, so lässt man sie gerne gewähren. Dadurch werden das Sprachvermögen und die Formenanschauung weiter geschult. Verläuft die Betrachtung zügig und gut, so wird die Lehrerin zum Schluss noch ein oder zwei Formen hervorheben und dabei versuchen, den Kindern schon ein bisschen Vorfreude auf die nächste Plastizierübung zu vermitteln. - Diese Nachbesprechung sollte höchstens zehn bis fünfzehn Minuten in Anspruch nehmen, in einer ersten Klasse eher weniger. Denn die Schwierigkeit bei diesem Rückblick ist die, dass dabei ja nicht alle Kinder alle Formen anschauen können, wogegen sie beim Betrachten der Aquarellbilder nach dem Maltag stets alle an der Wand hängenden Bilder vor Augen haben und dadurch stärker in den Prozess einbezogen sind.
Schauen wir auf eine mögliche Zeiteinteilung für das plastische Gestalten der Formenreihe im Verlauf des Schuljahres am Beispiel einer ersten Klasse:
Zunächst zur Wahl des Wochentages: Der Montag eignet sich besonders gut zum Plastizieren, denn er ist erfahrungsgemäß der Tag in der Schulwoche, an dem es am schwierigsten ist, eine Klasse so zu unterrichten, dass es allen Beteiligten Freude macht. Da die Kinder nach dem Wochenende meist in sehr unterschiedlicher, teils recht unausgeglichener Gemütsverfassung wieder in die Schule kommen, hilft das gemeinsame Plastizieren, die Gemeinschaft zu harmonisieren und aufnahmefähig für das weitere Lernen zu machen. - Zur Jahreszeit: Dass Herbst und Winter sich für die besinnliche, stille Beschäftigung mit dem plastischen Gestalten besonders gut eignen, wird im sechsten Kapitel genauer begründet.[17]
Das pädagogische Prinzip der Wiederholung spielt im Zusammenhang mit der Zeiteinteilung eine wichtige Rolle. Wiederholung ist eine unabdingbare Voraussetzung für da Erlernen und letztlich für das Beherrschen einer Handgeschicklichkeit. Das gilt für das Stricken oder Schnitzen ebenso wie für das Plastizieren. Wiederholung bedeutet für das Erlernen einer Handgeschicklichkeit, auch für die des Plastizierens, sich an die Bewegungsabläufe, die man einmal gezeigt bekommen und ausprobiert hat, zu erinnern, sie wieder aus dem Gedächtnis heraufzuholen und durch ein Zusammenspiel von verschiedenen Sinnesleistungen neu zu beleben. - Man darf sich als Lehrerin einer ersten Klasse nicht scheuen, die Kinder eine Form, beispielsweise das plastische Oval oder die erste Einprägung (Sattelbildung) in ein plastisches Oval, beide ausgehend von der Kugel, etwa fünf Mal an aufeinander folgenden Übungstagen plastizieren zu lassen. Zuvor wird man bestimmt mehr als fünf Mal mit den Kindern geübt haben, den Ton zu der Urform aller Formen, der Kugel, zu gestalten. Die Kinder brauchen die Wiederholung, um sicher und geschickt zu werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es nur äußerst wenige Kinder in einer ersten oder zweiten Klasse gibt, die nach kurzer Übungszeit eine schöne, nahezu ebenmäßige Kugel zu plastizieren vermögen, das gleiche gilt für das plastische Oval. Und gerade die wenigen, die es können - es sind eher stille, zurückhaltende Kinder - vertiefen sich immer wieder voller Hingabe in das plastische Üben, auch, wenn „nur“ etwas wiederholt " wird. Freilich sollte die Lehrerin sich vorher gut überlegen, wie sie die Wiederholung so variiert und gestaltet, auch sprachlich, dass es für die Kinder nicht langweilig wird - aber das gilt schließlich für jeden Unterricht. - Bedenkt man, dass nach Beendigung der Herbstferien, also von Anfang November bis zum Beginn der Osterferien, etwa Mitte April, ungefähr zwanzig Montage zum Plastizieren zur Verfügung stehen, so muss man sich als Lehrerin keine Sorge darum machen, dass man den Kindern im plastischen Gestalten nicht genügend Neues zu bieten hätte, wenn man die hier vorgestellte plastische Formenreihe zur Grundlage seiner Arbeit machen will. Sobald man sich selber mit der plastischen Formensprache übend beschäftigt, entdeckt man viele Möglichkeiten, ausgehend von der Kugel, ungegenständliche Formen im Sinne der hier gezeigten Beispiele zu finden.
Nun sei noch etwas zu dem hier verwendeten Arbeitsmaterial gesagt: Plastilin, Bienenwachs und Mischungen aus Ton und Bienenwachs sind, so wie sie im Handel angeboten werden, ein schönes, angenehmes Material zum plastischen Gestalten. Der Nachteil bei diesen Mitteln ist, dass sie nach vorliegenden Informationen erheblich teurer sind als der von mir benutzte feine, unschamottierte Künstler- oder Drehton, der sich für das plastische Gestalten in der Unterstufe ausgezeichnet eignet. Man sollte Preisvergleiche anstellen und sich mit den Kunst- und Handwerkslehrern absprechen, bevor man als Klassenlehrerin Material zum Plastizieren besorgt. Zur sachgemäßen Aufbewahrung des Tons, der ja immer wieder verwendet wird, benutzt man erfahrungsgemäß am besten eine luftdicht verschließbare große Kunststoffkiste (Isothermbehälter, Fassungsvermögen ca. 50 1), und zwar eine solche, die ursprünglich zum Transport von empfindlichen Lebensmitteln hergestellt worden ist. Diese Tonkiste gehörte in meinen Klassen ständig zur Möblierung des Klassenzimmers.
Die nicht mehr benötigten plastizierten Formen werden bald nach der Nachbesprechung in noch feuchtem Zustand gut zerkleinert und lagenweise in die Tonkiste geschichtet, wobei jede Lage fein mit Wasser bestäubt wird, beispielsweise mit einer Blumenspritze. Diese Behandlung gewährleistet, dass der Ton am nächstfolgenden Übungstag die richtige Konsistenz hat. Und das ist ausgesprochen wichtig. Denn, wenn der Ton zu nass ist, so schmiert er, klebt an den Händen und lässt sich nicht formen. Ist er nicht feucht genug, so trocknet er während des Übens innerhalb weniger Minuten in den Händen so stark aus, dass man nicht gut weiter arbeiten kann.
Die ideale Konsistenz hat der Ton, wenn man ihn aus der luftdicht verschlossenen Plastiktüte des Lieferanten nimmt: diesen Feuchtigkeitsgrad sollte man möglichst aufrecht erhalten. - Während des ersten Schuljahres wird die Lehrerin die Formen am besten alleine zerkleinern, weil die Kinder die „Zerstörung“ ihrer Werkstücke noch nicht so gut verkraften können. Ab dem zweiten Schuljahr können gut einige Kinder dabei helfen - selbstverständlich außerhalb der Unterrichtszeit.
Neben dem Formenzeichnen und Malen habe ich mit den Kindern in den ersten drei Klassen auch regelmäßig plastiziert. Dies hat folgende Vorgeschichte.
Im Sommer 1986 übernahm ich zum zweiten Mal eine erste Klasse mit 36 Kindern in der Freien Waldorfschule am Kräherwald. Jeder Erstklasslehrer weiß, dass es für die Kinder, auch wenn sie Kindergartenerfahrung haben, nicht leicht ist, sich in die große neue Gemeinschaft, in der andere Anforderungen an sie gestellt werden als bisher, einzufügen. In dieser neuen Klasse zeigte sich rasch, dass hier vielfältige Begabungen sowie die Einflüsse verschiedener Völker, Sprachen und Religionen zusammengekommen waren. Aus dieser multikulturellen Mischung ergaben sich sichtlich und fühlbar Spannungen im sozialen Miteinander, die bei einigen Kindern zu heftigen Aggressionen führten. Andere Kinder erlitten dabei ernste körperliche Verletzungen, von der seelischen Bedrängnis ganz zu schweigen. Das Verhalten der noch nicht sozialfähigen Kinder erschwerte, ja verhinderte oft ein sinnvolles Arbeiten im ersten Teil des Hauptunterrichts (des Unterrichtsblockes, der täglich von 8-9.45 Uhr dauert), in dem vor allem gemeinsames rhythmisches Bewegen, Sprechen und Singen - meist im großen Kreis - geübt wird. Auch während der Pausen auf dem Schulhof gab es oft äußerst kritische Situationen. Die üblichen pädagogischen Hilfsmaßnahmen, die ich anwendete, fruchteten nicht genügend. Diese Situation konnte und wollte ich nicht über längere Zeit verantworten. So wurde für mich die Frage immer drängender: Wie kann die angestaute Aggressivität, die sich in diesen Kinderhänden äußert, indem sie andere stoßen, schlagen, quälen und würgen - was wohl kaum nur ein Ausdruck von kindlichem Tatendrang, sondern eher von Ängsten und Unsicherheit ist - in eine sinnvolle Tätigkeit umgeleitet werden?
Als eine Antwort auf diese Frage kam mir folgende Idee:
Ich wollte den Kindern ein kompaktes, irdisches Material in die Hände geben, das sie bearbeiten sollten - Erde, Ton sollte es sein. Ich wollte mit ihnen - und nicht nur mit ihnen, sondern mit allen Kindern der Klasse zusammen - plastizieren. Warum ausgerechnet plastizieren? - so wurde ich später gefragt. Da ich selber schon häufig und voll Freude plastiziert hatte, wusste ich, welch wohltuende, befreiende Wirkung das plastische Gestalten auf den Übenden haben kann. Also stellte ich mir vor, wie heilsam es wäre, wenn die verhaltensauffälligen Kinder der Klasse ihre angestauten Aggressionen und Ängste beim Üben in das plastische Material, in den angenehm anzufassenden Ton ableiten könnten. Auch rechnete ich damit, dass es eine positive Wirkung auf die Kinder haben würde, wenn sie mit beiden Händen voll und ganz zugreifen und handeln dürften und dabei lernten, auch ihre Handinnenflächen zu sensibilisieren. Durch eine solche geführte Willenstätigkeit hoffte ich, der ganzen Kinderschal- helfen zu können. Es müssten künstlerisch-therapeutische Übungen sein, wenn sie wirken sollten, dachte ich.
Nachdem dieser Entschluss gefasst war, regte sich stark mein Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Lehrplan und gegenüber meinen Kollegen. Warum? In einer ersten Klasse mit Ton zu Plastizieren, war damals - meines Wissens - in der Waldorfschule nicht üblich; einige Klassenlehrer ließen wohl die Erst- und Zweitklässler in der Vorweihnachtszeit kleine plastische Figuren aus Wachs modellieren. Das Plastizieren elementarer, ungegenständlicher Formen aus Ton wurde in den ersten drei bis vier Schuljahren jedoch nur von wenigen Lehrern als Teil des Lehrplans für den bildhaftkünstlerischen Unterricht erkannt und kaum praktiziert.[18] Die Gründe dafür werden dem Leser vielleicht im letzten Kapitel dieser Schrift deutlich. - Vor diesem Hintergrund bin ich dem damaligen Kollegium der Freien Waldorfschule am Kräherwald, das mir ausdrücklich die Freiheit gewährte, diesen unüblichen Weg mit den Kindern in den ersten drei Klassen zu gehen, sehr dankbar. Es begleitete und hinterfragte meine Arbeit - vor allem in der Anfangsphase - mit durchaus kritischem und zugleich ausgesprochen wohlwollendem Interesse.
Einer erfahrenen Dozentin des Seminars für Waldorfpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart, die vor ihrer Tätigkeit am Seminar auch als Lehrerin Schüler aller Altersstufen unterrichtet hatte, erzählte ich von meinem Entschluss. Ihrer Initiative ist es zu verdanken, dass sich bald, nachdem ich begonnen hatte, mit den Kindern zu plastizieren, eine kleine Gruppe von Kollegen zusammenfand, die bereit waren, an einer pädagogischen Forschungsarbeit auf dem Gebiet des plastischen Gestaltens in den ersten drei Schuljahren mitzuwirken. Unter ihnen waren zwei weitere Dozenten der Freien Hochschle Stuttgart, die, ebenso wie die oben erwähnte Dozentin im plastisch-bildnerischen Bereich tätig waren. Alle drei ermutigten mich das zu tun. was ich für diese mir anvertrauten Kinder für richtig hielte und was das Leben jetzt erfordere - unabhängig von dem, was üblich sei. Die Arbeitsgruppe, zu der anfangs auch drei Klassenlehrer von anderen Waldorfschulen gehörten, konnte im Verlauf von drei Jahren aus Zeitgründen nur wenige Male zusammenkommen. Dennoch ist es in dieser Zeit durch die intensive gemeinsame Arbeit gelungen, einen methodischen Weg für das Plastizieren elementarer Formen mit Kindern in den unteren Klassen zu bahnen, der den Angaben Rudolf Steiners sinngemäß entsprechen mag. - Bei jeder neuen Zusammenkunft der Gruppe wurden die praktischen pädagogischen Erfahrungen, die ich inzwischen mit den Kindern in meiner Klasse gemacht hatte, in die Suche nach geeigneten Formen einbezogen. Dabei wurden schlichte, klare Formen entwickelt, die sich gut in die Hände der kleinen Kinder hineinschmiegen können. Der Altersstufe der Kinder entsprechend, wurde bei diesen Formen jegliche Bildung von scharfen Kanten, Spitzen. Aushöhlungen und Innenräumen vermieden. Füllige und gleichzeitig klar gestaltete Formen waren das Ergebnis. Reliefartige Arbeiten und Aufbauarbeiten auf einer festen Unterlage wurden für den angestrebten Weg ausgeschlossen. Während dieser Zeit begann auch die Suche nach Angaben Rudolf Steiners zum plastischen Gestalten für die betreffende Altersstufe, wobei nach und nach wichtige Hinweise gefunden wurden. Auf diese Weise entstanden die Grundpfeiler dieser Formenreihe, die exemplarisch zeigt, wie hier menschenkundlich begründete Schritte gegangen worden sind. Es handelt sich dabei um eine Auswahl von Formen aus dem beschriebenen Entstehungsprozess, ergänzt durch einige Formen, die von mir im Laufe der folgenden Jahre selbstständig, aber im Sinne der vorangegangenen gemeinsamen Arbeit entwickelt worden sind. Diese Formenreihe mag interessierten Pädagogen, möglicherweise auch Therapeuten und Eltern als Anregung zur eigenen Arbeit mit Kindern dienen.
Von der Klasse aber, die ja den Anstoß gegeben hatte zu der pädagogischen Forschungsarbeit, sei in Kürze Folgendes berichtet: Die künstlerische Arbeit im Bereich des Plastisch-Bildnerischen wurde durch das regelmäßige Plastizieren während der Herbst- und Wintermonate verstärkt, indem auch der wöchentliche Maltag, wenn irgend möglich, beibehalten wurde. Das Formenzeichnen übten die Kinder weiterhin in drei- bis vierwöchigen Unterrichtsepochen. Dies wirkte sich außerordentlich harmonisierend auf die ganze Gemeinschaft aus. Die besonders aggressiven Kinder fanden sich im Laufe der Zeit immer besser in diese konsequent geführte Willenstätigkeit des plastischen Gestaltens hinein und lernten dabei mehr und mehr, ihren eigenen Willen zu zügeln.
Beim plastischen Üben mit den Kindern konnte ich im Verlauf vieler Jahre beobachten, wie diese künstlerische Tätigkeit sich auf eine Klasse als Ganzes und auch auf einzelne Kinder auswirkt. Dabei ließen sich einerseits bestimmte Wirkungen unmittelbar während des Übungsprozesses wahrnehmen und andererseits solche Wirkungen, die nach Beendigung dieses Übungsprozesses zu beobachten waren. Letzteres gilt für den weiteren Verlauf des Hauptunterrichts nach der Plastizierübung und für einzelne auf das Plastizieren folgende Fachstunden. Dass sich diese künstlerische Tätigkeit darüber hinaus auf die Entwicklung der Kinder insgesamt in den nachfolgenden Wochen und Monaten ausgewirkt hat, nehme ich an, dies lässt sich aber selbstverständlich nicht mit Sicherheit behaupten, weil das plastische Gestalten auch im Zusammenhang mit den anderen Unterrichtsinhalten, die ihrerseits auf die Kinder gewirkt haben, betrachtet werden muss. - Ich beschreibe in diesem Kapitel zunächst eigene Beobachtungen und zum Schluss auch Wahrnehmungen von zwei Kollegen der Freien Waldorfschule am Kräherwald. Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Bericht nicht um die Ergebnisse einer wissenschaftlich angelegten Langzeitstudie handelt! Allerdings wäre es wünschenswert, dass die bisher gemachten Erfahrungen möglichst viele Lehrer und Therapeuten dazu anregen, mit Kindern in der hier geschilderten Weise zu arbeiten und dabei die Wirkungen zu beobachten, zu überprüfen und möglichst auch schriftlich festzuhalten. Das könnte zur Weiterentwicklung und pädagogischen Anerkennung dieser künstlerischen Tätigkeit mit Kindern in den ersten drei Klassen führen.
Zunächst nenne ich die verschiedenen Bereiche, in denen ich Wirkungen des plastischen Übens auf die Kinder beobachtet habe in Kürze, später werden diese genauer beschrieben. - Da ist an erster Stelle die außerordentliche Harmonisierung der Gemeinschaft von etwa 35 bis 40 Kindern zu nennen. Dabei spielt die Frieden stiftende Wirkung auf besonders aggressive Kinder eine wichtige Rolle. - Im Zusammenhang damit muss man die deutlich wahrnehmbare Rhythmisierung des Atemprozesses und die damit einhergehende Durchwärmung der ganzen Kinderschar, also auch jedes einzelnen Kindes, beachten. Obwohl die Kinder bei dieser Methode des Plastizierens ja im Sitzen arbeiten und im Gegensatz zum rhythmischen Bewegen im sogenannten Morgenkreis nur relativ kleine Bewegungen mit den Armen und Händen ausführen, bewirken diese, dass die Kinder frei und leicht atmen. - Ein weiteres Phänomen ist die große Freude, die die Kinder an dieser gestalterischen Tätigkeit, die mit einem besonders intensiven Tasterlebnis beider Hände verbunden ist, haben. - Es ist sehr wahrscheinlich, dass das plastische Üben mit Ton, das offensichtlich den gesamten Sinnesorganismus anregt, insbesondere aber die unteren Sinne, die sogenannten Willenssinne, sich auch anregend und wohltuend auf die Stoffwechselprozesse auswirkt. - Das Plastizieren ist eine vorwiegend nach innen gerichtete, still und besinnlich ausgeführte Tätigkeit, bei der beide Hände fein differenzierte Bewegungen erlernen. Außerdem wird gleichzeitig das Tastempfinden der Hände besonders sensibilisiert. Diese Tätigkeit erzeugt offenbar eine besondere Bereitschaft zu einem qualitativ anspruchsvollen Umgang mit dem Wort, mit Sprache. Denn es hat sich in der Unterrichtspraxis immer wieder gezeigt, dass die Kinder nach dem Plastizieren besonders einfühlsam und rege auf muttersprachliche sowie auf fremdsprachliche Aufgabenstellungen eingehen. - Es ist schwer einzuschätzen, wie sich die Ausbildung des Formempfindens und des Raumgefühls, die die Kinder durch das plastische Gestalten in den ersten Schuljahren erhalten, in den folgenden Jahren auswirkt, beispielsweise in Fächern wie Geometrie und Pflanzenkunde. oder auch in der plastisch-bildnerischen Arbeit in der Oberstufe. Dazu liegen noch zu wenige Erfahrungen vor.
Wenn man in den ersten Schuljahren unterrichtet, erlebt man als Lehrerin glücklicherweise viele Zeitabschnitte, in denen sich alle oder fast alle Kinder freudig und eifrig mit einer Aufgabe verbinden können. Das gilt beispielsweise für Tätigkeiten aus dem bildhaft-künstlerischen Unterricht wie das Aquarellmalen und das Formenzeichnen, aber auch für phantasievolle, rhythmische, von den Kindern sprechend oder singend begleitete Bewegungs- und Reigenspiele. Und mit zumeist starker innerer Anteilnahme hören die Kinder einer ersten oder zweiten Klasse zu, wenn gegen Ende des Hauptunterrichtes ein Märchen, eine Legende oder eine sinnige Geschichte anschaulich und frei erzählt wird. In diesen hier genannten Situationen kann man eine Klasse durchaus als eine harmonische Gemeinschaft erleben, einmal aktiv künstlerisch arbeitend, das andere Mal innerlich miterlebend, zuhörend, aufnehmend.
Die Harmonie, die in einer Klasse während des plastischen Übens herrscht, hat jedoch noch eine andere Qualität als diejenige, die in den oben genannten Unterrichtssituationen wahrzunehmen ist. Hier geht eine intensive gestalterische Tätigkeit beider Hände einher mit heilsamer, besinnlicher Ruhe. Es wird zunächst durch die rhythmisch impulsierten, relativ kräftigen, drückenden und formenden Bewegungen der Hände der Kreislauf sichtlich angeregt und gleichzeitig der Wille zu schöpferischem T\in aufgerufen. Die feineren Bewegungen, die beispielsweise zur schönen Ausarbeitung einer doppelt gekrümmten Fläche und zum Ebnen der Oberfläche einer Form notwendig sind, erfordern ein ganz konzentriertes, feinfühliges Arbeiten mit dem Daumen, mit den Fingern. Dabei empfinden die Kinder eine sichtliche Befriedigung, denn durch den hier erforderlichen intensiven Tastvorgang erleben sie sich selbst als Mensch, ihr Selbstvertrauen wächst, und sie fühlen sich offensichtlich wohl in ihrer Haut, in ihrem ganzen Leib. - Es ist der Lebenssinn, der dem Menschen etwas über sein eigenes, inneres, körperliches Befinden mitteilt. Rudolf Steiner charakterisiert den Lebenssinn auch als den für den Bildhauer vorrangigen Sinn, den er nutzt und verfeinert, um Plastiken zu schaffen und wahrzunehmen.[19]
Es gab einen Erstklässler, dem es anfangs ungeheuer schwer fiel, sich friedlich in die neue Gemeinschaft einzuordnen. Es war ein Junge von mittelgroßer, harmonischer Gestalt mit feinen Gesichtszügen, dessen Willensäußerungen jedoch erschreckend chaotisch waren. Dies zeigte sich vor allem vor Beginn des Unterrichts. Es konnte vorkommen, dass er ein anderes Kind an der Gurgel packte und kräftig würgte, dass er blindlings um sich schlug, notfalls mit der vollgepackten Schultasche, dass er ein Kind mit den Füßen trat, ein anderes Mal einem Kind einen Zahn ausschlug und am nächsten Tage eines die Treppe hinunterstieß. Dieser Junge war innerlich unglaublich angespannt, er fühlte sich in seinem gesamten sozialen Umfeld, also nicht nur in der Schule, verunsichert, geängstigt und war vermutlich deshalb so aggressiv gegen seine Mitschüler. Auf das plastische Üben ließ sich dieser Junge bereitwillig ein, aber er bearbeitete den Ton zunächst einmal so. dass er ihn mit beiden Händen regelrecht würgte. Dadurch wurde der Ton innerhalb weniger Minuten so trocken und rissig, dass er nicht mehr formbar war. Er erhielt dann jedes Mal stillschweigend eine neue Portion Ton. Im Laufe von einigen Wochen lernte dieser Junge, seine Hände beim plastischen Gestalten zu entkrampfen und gelöster, ja sogar freudig engagiert zu arbeiten. Diese Entwicklung wirkte sich bald auch positiv auf seinen Umgang mit den anderen Kindern aus. Er wurde zunehmend friedfertiger, innerlich ruhiger. Die Arbeit mit dem Ton hatte ihm die Möglichkeit gegeben, seine Ängste und Aggressionen durch die tastenden, plastizierenden Gebärden in das Material abzuleiten und schließlich innerlich zu überwinden.
Ein anderer Erstklässler, ein kräftiger, etwas untersetzter, stämmiger Bursche mit roten Backen und blitzenden Augen fühlte sich so stark, dass er sich nicht scheute, in den Pausen sogar Raufereien mit Schülern aus höheren Klassen anzufangen - ganz zu schweigen von den Kämpfen mit den eigenen Klassenkameraden. Diesem Jungen fiel es außerordentlich schwer, sich in das gemeinsame rhythmische Üben des Bewegens, Sprechens und Singens im Morgenkreis hineinzufinden und so beeinträchtigte er die Freude anderer Kinder an dieser Arbeit allzu oft. War jedoch der Tag gekommen, an dem plasti- ziert wurde, so war er stets der eifrigste Schüler, den man sich nur vorstellen kann. Er half tadellos, die Malbretter und den Ton auszuteilen und er half ebenso fleißig beim Aufräumen. Warum? Beim plastischen Üben konnte er endlich einmal mit beiden Händen kräftig zupacken, da gab es etwas „Richtiges“ zu schaffen. Auch wenn es diesem Jungen zunächst gar nicht leicht fiel, seine Formen einigermaßen geschickt zu gestalten und erst recht nicht, die Oberflächen fein zu bearbeiten, so fühlte er sich dennoch sichtlich befriedigt von dieser Tätigkeit. Seine Rauflust und seine Grobheiten ließen im Laufe des ersten Schuljahres deutlich nach. Auch hatte man den Eindruck, dass er durch die geliebte Tätigkeit des Plastizierens indirekt allmählich einen Zugang zum gemeinsamen rhythmischen Üben im Morgenkreis fand, gegen das er sich anfangs so aufgelehnt hatte.
Eine Notiz aus meinem Tagebuch erinnert an die folgende Situation: „Weißt du, dass wir heute das Tonen ganz vergessen haben?“ so fragte eines Morgens ein Kind. Das war etwa vier Wochen, nachdem diese erste Klasse begonnen hatte, einmal wöchentlich zu plastizieren. Vergessen hatte ich das „Tonen“, so nannten die Kinder das plastische Üben anfangs gerne, freilich nicht. Es hatte wegen einer klassenübergreifenden Schulfeier verschoben werden müssen. – Das Kind, dem das Plastizieren offensichtlich viel bedeutete, war ein zartes, hellblondes Mädchen, das für seine siebeneinhalb Jahre verhältnismäßig groß war, dabei schlank und feingliedrig und von scheuer, stiller Wesensart. Ich beobachtete bei ihm häufig Anzeichen einer mangelhaften Durchblutung; das Kind sah oft auffallend blass aus und seine Hände fühlten sich bei der täglichen Begrüßung meist kalt an, auch oft noch bei der Verabschiedung. Dieses Mädchen war dennoch aufnahmefähig und lernbegierig. Freudig beteiligte es sich am gemeinsamen sprachlich-musikalischen Üben im Morgenkreis, und es plastizierte von Anfang an mit inniger Hingabe. Besonders auffallend war, dass die sorgsam gestalteten, schönen Formen dieses Kindes nach Beendigung des Übungsprozesses vergleichsweise extrem warm waren, der Ton dabei aber nicht ausgetrocknet war. Das Kind selber hatte durch das plastische Üben jede Mal rote Backen und warme Hände bekommen. Offensichtlich waren der Atem- und der Wärmeprozess bei diesem Kinde besonders wirkungsvoll angeregt worden, was sicherlich - dem Kinde unbewusst - dazu beitrug, dass es so gerne plastizierte.
Es ist am eigenen Leibe erlebbar und auch wissenschaftlich erwiesen, dass jede körperliche Bewegung zu einer verstärkten Durchblutung und jede Willensaktivität zu Wärmeprozessen führt. Das Plasistizieren, diese relativ ruhige Willensaktivität mit beiden Händen, ist als ein Spezialfall dieser allgemeineren Gesetzmäßigkeit zu betrachten, der hier genauer angeschaut werden soll: Es ist ein Vorgang, bei dem sich ein differenzierter und individueller Wärmeprozess vollzieht. Das lässt sich aufgrund verschiedener Tatsachen nachweisen. Einerseits
erhalten alle Kinder einheitlich temperierten Ton (in Raumtemperatur) und alle arbeiten in der gleichen äußeren Wärme-Umgebung, nämlich in der des Klassenzimmers. Andererseits kann man feststellen, dass die plastizierten Formen der Kinder nach Beendigung der Übung allesamt deutlich wärmer als der anfangs ausgegebene Ton sind, dass sie jedoch unterschiedlich warm und unterschiedlich trocken sind. - Auf Grund jahrelanger Beobachtungen komme ich zu dem Schluss, dass die Kinder in den Unterstufenklassen beim plastischen Üben mit Ton auf keinen Fall unter dem feuchten, anfänglich kühlen Ton leiden. Das ist erstens darin begründet, dass die Kinder diese Arbeit mit großer Freude und echtem Engagement machen, wenn sie entsprechend angeleitet werden. Zweitens liegt es daran, dass der Ton sich bei der Arbeit nachweisbar rasch erwärmt. Die Sorge, dem kindlichen Körper könne durch das Plastizieren mit Ton möglicherweise Wärme entzogen werden, ist völlig unbegründet. Denn alle Kinder haben nach dem Plastizieren warme Hände und fast alle haben auch rote Backen - sogar noch eine Stunde nach Beendigung der Plastizierübung. Davon konnte ich mich am Ende des Unterrichts, wenn ich beim Verabschieden jedem einzelnen Kind die Hand gab, jedes Mal überzeugen. - Wenn man in einem kleinen Kreis von Erwachsenen, beispielsweise von Kollegen, nach der hier dargestellten Methode plastisch arbeitet, kann man das Phänomen der Eigenwärme folgendermaßen wahrnehmen: Nachdem alle Anwesenden ihre Form fertig plastiziert haben, reichen sie diese dem Nachbarn weiter, der so die Wärme und die künstlerische Gestaltung der Form erfühlen kann. Dies wird weiter geführt, bis alle Teilnehmer jede Form in den Händen gehabt und gefühlt haben. Ein erstaunliches Erlebnis ist das! Die Formen fühlen sich deutlich unterschiedlich warm an, von lauwarm über warm bis extrem warm gibt es da verschiedene Wärmeabstufungen. Alle Formen sind jedoch entschieden wärmer als es der Ton zu Beginn der Übung gewesen ist. - Mit kleinen Kindern in einer großen Schulklasse sollte man dieses Experiment allerdings vermeiden, es brächte zu viel Aufregung und Unruhe mit sich. Bei den Kindern beschränkt man sich besser auf den „Wärmetest“ mit dem zurückbehaltenen Stückchen Ton, dessen Temperatur dann mit der der fertigen Form verglichen wird.
Da ein intensives Tasterlebnis den ganzen Vorgang des Plastizierens durchzieht, ist es nicht einfach, dieses gesondert zu betrachten. Doch im Vergleich mit anderen Handgeschicklichkeiten oder plastisch-bildnerischen Übungen wird der Unterschied zu diesen, im Hinblick auf das Tasterlebnis, deutlich.
Auch das Stricken wird in der Waldorfschule schon in der ersten Klasse mit den Kindern geübt, fast alle Kindern machen es besonders gerne. Hierzu werden - wie zum plastischen Gestalten - beide Hände gebraucht. Das Stricken erfordert „äußerst komplizierte feinmotorische Bewegungsvorgänge der rechten Hand und ein genau abgestimmtes Zusammenwirken mit der linken Hand.“[20] wobei aus einem gesponnenen, fortlaufenden Faden eine Masche gebildet wird und diese an die schon vorhandenen Maschen angefügt wird. Durch vielfache Wiederholung dieses Vorganges entsteht schließlich ein zusammenhängendes, flächiges Gebilde. Bei dieser Art von Handgeschicklichkeit sind vor allen Dingen die Finger beider Hände zu praktischer, intelligenter Tätigkeit aufgerufen, wobei die beiden Zeigefinger die Führung übernehmen. die Daumen sowie die übrigen Finger aber das Strickzeug vor allem halten und stützen. Bei diesem Vorgang findet nur ein partielles Tasterlebnis, vor allem der Fingerspitzen, an den Nadeln und an dem Strickgarn, bzw. dem entstehenden Gestrick, statt. Die Handinnenflächen sind daran kaum beteiligt.
Beim Malen und Zeichnen führen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger einer Hand den Pinsel oder Stift, dabei kommt es nur zu einem punktuellen Tasterlehnis an diesem Werkzeug. Das Bild oder die Zeichnung, entsteht außerhalb der Hände auf einer Fläche, auf dem Papier, das vor dem Kinde liegt. Bei sachgerechter Handhabung der Werkzeuge wird das Papier nur mittelbar durch diese berührt. Weder beim Stricken noch beim Malen oder Zeichnen empfindet der Mensch ein so intensives Tasterlebnis wie beim plastischen Gestalten.
Da hat man zunächst eine ungeformte, kompakte Masse Ton vor sich. Diese wird bei der hier gezeigten Methode zuerst einmal in aller Ruhe Stückchen für Stückchen mit dem Daumen und dem Zeigefinger fein durchtastet, durchfühlt und so anfänglich erwärmt. Danach wird der Ton mit beiden Händen ganz umfasst und - wie bereits ausführlich geschildert geformt. Hier sind beide Hände in ihrer Dreigliedrigkeit gefordert: Die Fingerspitzen (der Nerven-Sinnespol) zum feinen Durchtasten des Tons zum Abtasten und tastenden Ausgleichen der 0berfläche einer Form. Die Mittelhandknochen und die Handinnenflächen (die Empfindungssphäre) werden zum tastenden Drücken, Strecken, Umfassen und „blinden“ Erfühlen einer Form gebraucht, dabei werden diese ungeheuer regsam gemacht und belebt. Die Hand- oder Daumenballen und die Handwurzeln (der Willenspol) gebrauchen wir zum kräftigen Einprägen von Vertiefungen. Sattelflächen, also zu besonders kraftvollem Drücken und Formen. Während des ganzen Arbeitsganges sind beide Hände in wechselnden Stellungen und Bewegungen, doch nicht in einem unablässig sich wiederholenden Bewegungsablauf, fühlend, tastend, formend mit dem Werkstück unmittelbar in Berührung. Es entsteht in einem gestalterischen Prozess als dreidimensionale Form in den Händen und nicht vor uns auf einer Fläche. - In diesen differenzierten Tastvorgängen erleben wir einerseits die Außenwelt, also das Material Ton, dessen Wärme oder Kälte, dessen Feuchtigkeit oder Trockenheit, dessen Gestaltbarkeit und Widerstand und vor allem die entstehende plastische Form. Andererseits erleben wir die Innenwelt, nämlich uns selbst, in besonnener, innerer Aktivität. Und das kann tiefe Befriedigung und Freude bewirken, innere Harmonie und körperliches Wohlbefinden. Das erleben die Kinder ebenso wie die Erwachsenen.
Der Erstklässler, der seiner Mutter und mir gegenüber mehrmals mit tiefer Überzeugung festgestellt hatte: „Plastizieren ist noch viel schöner als Malen!“ war als Kleinkind immer kränklich gewesen. Von Geburt an hatte dieser Junge eine konstitutionelle Stoffwechselschwäche, insbesondere eine Leberschwäche. Dazu litt er unter einer starken Rachitis. Er lernte dennoch zur rechten Zeit laufen, aber erst spät und mühsam sprechen, unterstützt durch eine Chirophonetik-Behandlung, die er zwischen zweieinhalb und vier Jahren erhielt. Auch im zweiten Jahrsiebt hatte dieser Junge weiterhin mit seiner schwachen Konstitution zu kämpfen. Infolgedessen war er von klein auf fortlaufend in kinderärztlicher Behandlung und auf eine regelmäßige Therapie mit Medikamenten sowie auf eine spezielle Ernährung angewiesen. Er ermüdete immer rasch, dennoch konnte er abends oft schlecht einschlafen.
Mit sechsdreiviertel Jahren kam er in die Waldorfschule, aber im Gegensatz zu den meisten Kindern in einer ersten Klasse hatte er keine rechte Freude am Lernen. Andererseits zeigte er sich seiner Klassenlehrerin gegenüber sehr anhänglich und begrüßte sie morgens meistens zweimal mit herzlichem, kräftigem Händedruck. Die Schule strengte ihn wohl insgesamt zu sehr an. Es gab nur drei Fächer, die ihm in den ersten Schuljahren wirklich Freude machten und in denen er sich eifrig beteiligte: das Bewegungsfach Spielen (irrtümlich auch oft Spielturnen genannt), das Malen und vor allem das Plastizieren. Beim gemeinsamen rhythmischen Bewegen, Sprechen und Singen im Morgenkreis erlebte ich ihn recht zurückhaltend. Alle Aufgaben, die die Vorstellungs- und Denkkräfte beanspruchten, fielen ihm außerordentlich schwer. - Bis ins vierte Schuljahr hinein hatte dieser Junge die Möglichkeit, im Winterhalbjahr weitgehend regelmäßig einmal in der Woche in der Klassengemeinschaft zu plastizie- ren. Gegen Ende des vierten Schuljahres lernte er allmählich die Wörter mit allen dazu gehörigen Silben zu schreiben und zu lesen. Grammatische Formen und Regeln konnte er jedoch noch nicht erfassen. Er fand aber in dieser Zeit schließlich einen Zugang zum Rechnen mit unbenannten Zahlen, also zum Abstrahieren, und der Einführung des Bruchrechnens folgte er verständig. In den folgenden Jahren machte dieser Junge in seiner körperlichen und seelisch-geistigen Entwicklung sichtlich gute
Fortschritte. So konnte er die Schule nach 12 Jahren mit der Fachhochschulreife abschließen. - Zusammenfassend muss man feststellen, dass dieses Kind lange Zeit die Haupteskräfte nicht ergreifen konnte, was sicher auch im Zusammenhang mit der schwerwiegenden Schwäche im Stoffwechsel-Gliedmaßenbereich gesehen werden muss. Denn es ist bekannt, dass die untere Organtätigkeit sich im Kopfbereich widerspiegelt. - Man könnte deshalb annehmen. dass
dieses Kind instinktiv jegliche Anstrengung vermied und zunächst nur auf diejenigen Aufgaben zuging, bei denen es eine Stärkung der Stoffwechselprozesse und damit körperliches Wohlbefinden erleben konnte. – Es ist klar, dass man auf Grund der Schilderung eines einzelnen Kindes nicht den Schluss ziehen darf, dass das Plastizieren eine therapeutische Wirkung auf eine ärztlich nachgewiesene Stoffwechselschwäche habe. – Diesen Fall habe ich dennoch beschrieben, um Lehrer und Therapeuten dazu anzuregen, weitere, möglichst noch genauere Beobachtungen in dieser Richtung zu machen. Da könnte die folgende Fragestellung weiterhelfen: „Ist es möglich, dass das plastische Gestalten, so wie es bei der hier geschilderten Methode durchgeführt wird, durch die rhythmisch impulsierten, drücken den, tastenden und formenden Bewegungen, die innere Organtätigkeit, beispielsweise die Darmperistaltik, wohltuend anregt?
Was die Anregung des Sprachbereiches betrifft, so gilt ganz allgemein, dass die Bewegungen der Hände und Finger eine impulsierende Bedeutung haben. Ob dem Plastizieren in diesem Zusammenhang eine ganz spezifische Wirkung zukommt, ist eine wichtige Frage. Um sie beantworten zu können, wäre auch zu untersuchen, was es speziell für die Förderung der Sprachfähigkeit - für das Zuhören und für das selber Sprechen - bedeutet, dass beim Plastizieren die Handinnenflächen in besonders feiner Weise angeregt und sensibilisiert werden und dass der Tastsinn insgesamt, wie oben bereits beschrieben, intensiv geschult wird. - In wissenschaftlichen Untersuchungen, die in den letzten •Jahren durchgeführt wurden, wurde dieser Zusammenhang überprüft: „Sind aber die Bewegungsfähigkeiten nicht richtig ausgebildet, dann ist auch bei den sensorischen Fähigkeiten mit Defiziten zu rechnen. Nachgewiesen wurde das ... vor allem für den Tastsinn: Sprachgesunde Kinder im Alter von drei bis sechs .Jahren zeigten bei den Tests von
Kiese-Himmel hochsignifikant bessere Leistungen in der Tast- und Berührungswahrnehmung als gleich alte Kinder mit Sprachauffälligkeiten. Letztere waren bei Nachuntersuchungen in der zweiten Klasse mit komplexen Tastwahrnehmungen noch immer überfordert Die volle Ausbildung des Tastsinns scheint mithin eine notwendige Vorbedingung für den Spracherwerb des Kindes zu sein.[21]
Immer wieder konnte ich beobachten, dass die Kinder in dem Unterrichtsteil, der unmittelbar auf das stille Plastizieren folgte, sensibler hinhören können auf das, wozu man sie in sprachlicher Hinsicht anregt. Da findet man beispielsweise bei den Erstklässlern einen richtigen Appetit auf das Durchkosten bestimmter Laute, Sprachklänge und -melodien in Wörtern und Reimen vor, wenn man sie zu einem qualitativen Spracherleben führen will.
Hierzu eine kleine Probe, die andeuten möge, was gemeint ist:
„Flinke Fische flitzen in der klaren Flut... flink, Fink, Fisch, Tisch ... flitzen, fliegen, flattern ... Flut und Glut, Stock und Hut, Kraft und Mut ...“ Es bieten sich viele Möglichkeiten, Wörter, Wortfolgen und Reime mit bestimmten Lauten zu sammeln. Wie beginnt da der Sprachquell zu sprudeln! Man kann hier an den Kindern erleben, dass die vorangegangene formschaffende Gebärde zu tönender Gebärde wird. - Ein anderes Beispiel, in diesem Falle aus einer dritten Klasse, mag dies bekräftigen: Ein zartes, außerordentlich schüchternes Mädchen, ein Einzelkind, das nie einen Kindergarten besucht
hatte, getraute sich in den beiden ersten Schuljahren überhaupt nicht, während des Unterrichts eine Antwort auf eine Frage zu geben oder auch nur einen einzigen Satz zur Nacherzählung eines Märchens oder einer Geschichte beizutragen. Die einzige Ausnahme war die, dass es ab der zweiten Klasse pflichtgemäß und unmittelbar in meiner Nähe stehend mit leiser Stimme seinen Zeugnisspruch[22] sprach. Dabei war dieses Kind nicht etwa seelisch dumpf oder geistig träge. Es beteiligte sich regelmäßig am gemeinsamen Üben des Sprechens und Singens. Alle schriftlichen Arbeiten zeigten, dass es dem Unterricht verständig und sehr aufmerksam folgen konnte. Beim Formenzeichnen bewies es ein feines Formenempfinden und überraschte mich durch seine klare, sichere Linienführung. - In der dritten Klasse sollte kurz nach den Weihnachtsferien die erste Sprachlehre-Epoche überhaupt beginnen. Es war ein Montagmorgen, und die Klasse hatte, wie gewöhnlich in den Wintermonaten, zunächst plastiziert. Unmittelbar danach regte die Lehrerin die Kinder zum Sprechen sinnvoller Frage- und Ausrufesätze dadurch an. dass sie sie an die Märchen, die sie in der ersten Klasse gehört hatten, erinnerte. Dabei stellte sie Fragen wie diese: „Wie sprachen denn die Zwerge im Märchen von Schneewittchen, als sie heimkehrten und bemerkten, dass da jemand ihre Sachen berührt hatte?“ Oder auch: „Was sagte Rotkäppchen, als es sah, dass die Großmutter, die krank in ihrem Bette lag, so merkwürdig große Augen, Ohren und Hände hatte?“ Das zuvor geschilderte Kind, das in der Klasse nie alleine hatte sprechen wollen, war an diesem Morgen das erste, das sich meldete und mit einem vollständigen Satz klar und treffend antwortete. Dieses „Wunder" ereignete sich wenige Minuten später noch einmal! Von diesem Tage an hatte das Mädchen keine Scheu mehr, das, was es wusste und konnte auch mutig und deutlich auszusprechen. - Nun könnte man in diesem Falle sagen, dass das hier beschriebene Kind diesen wichtigen Entwicklungsschritt zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr auch ohne das plastische Üben getan hätte. Dennoch ist es bemerkenswert, dass es offensichtlich durch das unmittelbar vorher geübte Plastizieren, also durch die vielfältigen tastenden Bewegungen mit beiden Händen, dazu angeregt worden war, mutig auf die gestellten Fragen zu antworten. Auch hier wurde offensichtlich die vorangegangene formschaffende, plastizierende Gebärde zu seelisch durchlebter, sprachlicher Gebärde.
Der Kollege der die hier charakterisierten Kinder im Fach Englisch unterrichtete, verfügt über eine reiche Erfahrung im Sprachunterricht in sämtlichen Klassenstufen. Darüber hinaus hat er eine umfassende Forschungsarbeit auf dem Gebiet des Fremdsprachenunterrichts in der Primarstufe durchgeführt. Auf seine Wahrnehmungen und Aussagen konnte ich mich verlassen.
Dieser Kollege war einigermaßen erstaunt, als er die Klasse, von der hier die Rede ist, an dem Montagmorgen, an dem sie im Hauptunterricht zum ersten Mal plastiziert hatte, erlebte. Er berichtete mir, dass er an diesem Tage - und an vielen folgenden Montagen - eindeutig eine bessere Arbeitsstimmung in der Klasse vorgefunden habe, als das vor der Einführung des Plastizierens der Fall gewesen sei. Er beobachtete auch, dass die Kinder immer dann, wenn sie im Hauptunterricht plastiziert hatten, wesentlich konzentrierter waren, mehr in sich ruhten und insgesamt besser inkarniert waren als an anderen Tagen.
Einige Wochen nach der Einführung des Plastizirens in der ersten Klasse kam die damalige Schulärztin an einem Montagmorgen zu Besuch in den Hauptunterricht. In langjähriger Erfahrung hatte sie ihren Blick für die Kinder dieser Altersstufe geschult. Sie hatte auch diese Kinder - wie viele andere erste Klassen - vor der Einschulung
schon kennen gelernt und wusste um die Sorgen, die mir einige Kinder bereiteten. Die Schulärztin erlebte an diesem Morgen, wie die ganze Klasse mit der Klassenlehrerin zusammen plastizierte.
In dem anschließenden Gespräch äußerte sie, sie halte diese Art des plastischen Gestaltens für eine ausgesprochen künstlerisch-therapeutische Arbeitsweise, wodurch die Kinder in eine innige Ruhe und Befriedung kommen könnten. Dabei handele es sich um eine innere aktive Ruhe. Eine wichtige Voraussetzung dazu sei, dass die Begegnung mit dem Material mit der ganzen Hand, mit beiden Händen, stattfinde. Dass mit Kindern dieses Alters in dieser Weise plastiziert werde, halte sie auch deshalb für ganz wesentlich, weil die Kinder durch das intensive Tasterlebnis zu sich selbst geführt würden. Darüber hinaus trage die gesunde Ausbildung des Tastsinnes in der Kindheit entscheidend dazu bei, das Selbstwertgefühl des Menschen zu stärken. Auch fördere das Plastizieren die anregende und ordnende Wirkung des Willens auf die Stoffwechselprozesse. Insofern sei diese Methode des plastischen Gestaltens ein wichtiger Beitrag zu einer menschengemäßen und heilenden Erziehung der Kinder.
In Auszügen, mit Anmerkungen von Hella Loewe
Im Folgenden ist eine unvollständige Sammlung on Angaben Rudolf Steiners zum plastischen Gestalten zu finden, verbunden mit einigen Anmerkungen der Verfasserin. Die Angaben sind, mit einer Ausnahme, in chronologischer Reihenfolge aufgeführt und kursiv gedruckt. Sie sollen dazu beitragen, die pädagogische Arbeit, von der hier berichtet worden ist, als eingebettet in den Gesamtzusammenhang der Waldorfpädagogik zu verstehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die hier sehr verkürzt zitierten Aussagen Rudolf Steiners dem Leser ihren Sinn erst vollständig erschließen können, wenn sie im Gesamtzusammenhang eines Vortrages gelesen worden.
In dem Vortragszyklus „Kunst im Lichte der Mysterienweisheit“, den Rudolf Steiner in der Zeit vom 28. Dezember 1914 bis zum 4. Januar 1915 in Dornach gehalten hat, zeigt er am Gebiet der Pädagogik, der Erziehungskunst, wie geisteswissenschaftliche Begriffe lebendig werden können im äußeren Leben: Hier skizziert er schon Wesentliches der neuen Pädagogik, die erst nahezu fünf Jahre später mit der Gründung der ersten Waldorfschule in Stuttgart lebendige Gestalt annehmen sollte. „ Jetzt wenden wir den Blick auf den Erzieher.... Wir fühlen nur richtig, wenn wir uns sagen: Dein Bestes in dir, was dein Geist denken, deine Seele fühlen kann, was sich vorbereitet in dir, um aus dir etwas zu machen in der nächsten Inkarnation, kann wirken auf das in dem Kinde, was aus uralten Zeiten in dem Kinde sich plastisch bilden will. Musikalisch ist erst in uns das, was erzieherisch wirken kann. Plastisch in dem Kinde sich ausgestaltend ist dasjenige, worauf wir wirken sollen. ... Das Musikalische bezieht sich auf alles Entwickelungsmäßige, auf das Zukünftige, das Plastisch-Architektonische auf das Vergangene. Das wunderbarste plastische Kunstwerk, das uns entgegentritt, ist das Kind. Das, was wir als Erzieher haben sollen, ist die musikalische Stimmung, die als Zukunftsstimmung in uns sein kann. ... Wenn die Welt einmal sehen wird, wie dieses musikalische Gestimmtsein des Erziehers, verbunden mit der Anschauung der Plastik des Zöglings, die pädagogische Stimmung zu geben hat. wenn das durchdringen wird, wenn es sein wird das, was man von der erzieherischen Liebe, von der pädagogischen Liebe verlangen wird, dann wird die Pädagogik von der richtigen Luft durchtränkt sein ...“[23]
Anlässlich der Gründung der Freien Waldorfschule hielt Rudolf Steiner für das erste Lehrerkollegium die Vorträge über die „Allgemeine Menschenkunde“ und über „Methodisch-Didaktisches“ der von ihm inaugurierten neuen Erziehungskunst. Daran schlossen sich ein in freier Aussprache ablaufendes Seminar an und schließlich drei zusammenfassende Lehrplanvorträge. Die Lehrer erhielten diese Grundlagen für ihre künftige Arbeit in der Zeit zwischen dem 21. August und dem 6. September 1919. - Diese Tatsachen sind bekannt; dagegen ist vielleicht nicht jedem Lehrer und Leser bewusst, dass Rudolf Steiner bereits am ersten Tag dieser Einführung in die neue Pädagogik nachdrücklich darauf hinweist, dass von Anfang an Wert darauf zu legen sei, das Künstlerische im Kinde zu pflegen.
„Das Künstlerische wirkt ja ganz besonders auf die Willensnatur des Menschen. Dadurch dringen wir zu etwas vor. das mit dem ganzen Menschen zusammenhängt, während das, was mit dem Konventionellen zusammenhängt, nur mit dem Kopfmenschen zu tun hat. Es wird in der Methodik unsere Aufgabe sein, dass wir immer den ganzen Menschen in Anspruch nehmen.“[24] „Es handelt sich nur darum, dass wir das Wollen nie durch falsche Mittel in die verkehrte Richtung bringen, sondern, dass wir die Erstarkung des Wollens durch künstlerische Mittel richtig zum Ausdruck bringen. Dazu soll von Anfang an malerische, künstlerische Unterweisung dienen und auch musikalische. Wir werden dabei bemerken, dass gerade in der ersten Zeit der zweiten Lebensepoche das Kind für die autoritative Unterweisung mit dem Künstlerischen am allerempfänglichsten ist und dass wir da am meisten mit ihm erreichen können."[25]
Rudolf Steiner erwartet von den Lehrern also nicht nur. dass sie das Künstlerische im Kinde pflegen, sondern ebenso, dass das Ganze des Unterrichts herausgeholt sein soll aus dem Künstlerischen. „Ins Künstlerische muss alle Methodik getaucht werden.“[26] Das ist eine große Herausforderung für den Lehrer!
Die Aufgaben unterscheiden sich in der Sache wesentlich voneinander und greifen im Blick auf das Ziel doch gleichzeitig ineinander. Der Lehrer soll sich zum Künstler ausbilden. Er soll Künstlerisches, Kunst unterrichten wie Plastizieren und Zeichnen und gleichzeitig als Erziehungskünstler wirken, indem er auf künstlerische Art Herkömmliches lehrt, beispielsweise Schreiben oder Grammatik.
Rudolf Steiner greift das Thema des Künstlerischen zwei Tage später im methodisch-didaktischen Kurs wieder auf. Hier charakterisiert er die zwei Strömungen, die künstlerisch an den Menschen herantreten, die plastisch-bildnerische Strömung und die musikalisch-dichterische Strömung.[27] Er sagt, diese seien zwar polar verschieden voneinander, sie könnten sich aber dennoch in einer höheren Einheit gut finden, - Schaut man heute auf das gesamte pädagogische Vortragswerk Rudolf Steiners, so erkennt man, dass diese beiden Strömungen das Plastisch-Bildnerische und das Musikalisch- Sprachliche - wie zwei elementare Lebensadern die Waldorfpädagogik durchziehen.
Die Aussagen, die von Rudolf Steiner über das Plastisch-Bildnerische im Hinblick auf die Pädagogik zwischen August 1919 und August 1924 gemacht worden sind, lassen Folgendes erkennen: Sein Konzept für die künstlerische Unterweisung im Plastisch-Bildnerischen in den ersten Schuljahren umfasst das Zeichnen (Formenzeichnen), das Aquarellmalen und das plastische Gestalten; diese drei bilden ein ausgewogenes Ganzes, einen harmonischen Dreiklang. Das künstlerische Mittel beim Formenzeichnen ist die Linie, die gerade und die krumme Linie, die nichts Gegenständliches darstellt, sondern als Spur eines Bewegungsablaufes elementare Formen auf der Fläche entstehen lässt. Beim Aquarellmalen wird ganz aus der Farbe heraus gearbeitet, hier ist das künstlerische Mittel also die farbige Fläche. Beim plastischen Gestalten sind die gekrümmten Flächen das künstlerische Mittel, insbesondere die nach innen gewölbte (konkave) und die nach außen gewölbte (konvexe) Fläche, durch die das Formenempfinden und das Raumbewusstsein der Kinder geschult werden sollen. - Rudolf Steiner weist in dem schon erwähnten ersten Vortrag de Methodisch-Didaktischen Kurses ausdrücklich darauf hin, dass es nicht darum gehe, etwas[28] zu zeichnen oder zu plastizieren, nicht eine Form, die dieses oder jenes nachahmt, sondern es gelte, erst einmal zu versuchen, das Interesse der Kinder an ursprünglichen, reinen Formen zu erwecken. „Die Ähnlichkeit mit der Außenwelt muss erst als ein Sekundäres aufleuchten. Was im Menschen leben muss, muss das innere Verwachsensein mit den Formen selbst sein! ... Wir zeichnen mit der Hand und wir plastizieren auch mit der Hand, und dennoch ist beides völlig verschieden. Das kann insbesondere zum Ausdruck kommen, wenn wir Kinder in das Künstlerische hineinbringen. Wir müssen, wenn wir Kinder ins Plastische hineinbringen, möglichst darauf sehen, dass sie die Formen des Plastischen mit der Hand verfolgen. Indem das Kind sein eigenes Formen fühlt, indem es die Hand bewegt und zeichnerisch irgend etwas macht, können wir es dahin bringen, dass es mit dem Auge, aber mit dem durch das Auge gehenden Willen die Formen verfolgt. Es ist durchaus nicht etwas die Naivität des Kindes Verletzendes, wenn wir das Kind anweisen, selbst mit der hohlen Hand die Körperformen nachzufühlen, wenn wir es aufmerksam machen auf das Auge, indem es die Wendungen des Kreises zum Beispiel verfolgt... Das ist nicht eine Verletzung der Naivität des Kindes, sondern es ist ein Inanspruchnehmen des Interesses des ganzen Menschen.“[29]
Vier Tage später betont Rudolf Steiner, von welch durchschlagender Bedeutung die erste Schulstunde sei und gibt hier ein wunderbares Beispiel für ein Gespräch mit den Kindern über den Sinn ihres Schulbesuches. Im Verlauf dieses Gespräches lenkt er deren Bewusstsein auch darauf, dass sie Hände haben, Hände zum Arbeiten, Hände, mit denen sie allerlei machen können. Danach geht er dazu über, die Kinder etwas in „Handgeschicklichkeit" machen zu lassen, indem er dieses zunächst vormacht und mit folgenden Worten begleitet: „Jetzt mache ich dies. Also nimm deine Hand und mache es auch!“ - Dabei handelt es sich um das Zeichnen einer Geraden. Rudolf Steiner fährt fort, zu den Lehrern gewendet: „Man kann die Kinder nun dasselbe machen lassen, möglichst langsam, denn es wird sich schon langsam vollziehen ... Das richtige Verdauen des Unterrichtes ist dabei von größter Bedeutung. Darnach kann man dem Kinde sagen: Jetzt mache ich dies; Rudolf Steiner zeichnet eine Krumme (krumme Linie) Jetzt macht ihr mit eurer Hand dies auch. Nachdem dies absolviert ist, sagt man ihnen: Dies ist eine gerade Linie, und das andere ist eine krumme Linie; ihr habt also jetzt mit euren Händen eine gerade und eine krumme Linie gemacht. - Den Kindern, die ungeschickt sind, hilft man, aber man sehe darauf, dass jedes Kind es gleich von Anfang an in einer gewissen Vollkommenheit macht.“[30] Wenn an dieser Stelle auch nicht unmittelbar vom plastischen Gestalten die Rede ist, so gibt sie doch einen besonders wichtigen Hinweis auf die verbale und auf die praktische Anleitung der Kinder in einer ersten Klasse im Plastisch-Bildnerischen.
Im zweiten Lehrplanvortrag spricht Rudolf Steiner über den Lehrplan für Mathematik und Geometrie. Im Hinblick auf das vierte Schuljahr sagt er hier: „…und im Zeichnen lehren wir. was ein Kreis. eine Ellipse ist und so weiter. Aus dem Zeichnen heraus lehren wir dieses. Das setzen wir noch fort, durchaus auch immer zu plastischen Formen hinführend. indem wir uns des Plastilins bedienen - wenn es zu haben ist: sonst kann man irgend etwas anderes benützen, und wenn es Straßenkot wäre, das macht nichts! - , um auch (könnte von der Sache auch heißen „aus“ anstatt „auch“, Anm. von H.L.) Formenanschauung, Formenempfindung hervorzuholen.“[31] Und wenig später: „Rufen Sie im Kinde das Gefühl hervor, was für ein Unterschied ist zwischen Kreisbiegung und Ellipsenbiegung. Kurz, erwecken Sie das Formgefühl, bevor der Nachahmungstrieb erwacht ist! ... Lassen Sie das Kind nichts nachahmen, bevor Sie nicht in ihm aus innerem Gefühl heraus die Form in ihrer Selbsttätigkeit gepflegt haben, die dann später erst auch nachgeahmt werden kann. Und so halten Sie es auch noch, wenn Sie zur mehr selbständigen Behandlung des Zeichnens und des Malerischen und auch des Bildnerischen übergehen.“[32]
Am gleichen Tage, nachmittags, im dritten Lehrplanvortrag, fügt Rudolf Steiner noch hinzu:
„Plastisches soll vor (Hervorhebung durch H. L.) dem neunten Jahre beginnen, Kugeln, dann anderes und so weiter. Auch beim Plastischen soll man ganz aus den Formen heraus arbeiten.“[33] Es hat eine weitgehende Bedeutung, dass Rudolf Steiner uns auffordert, beim Plastizieren mit den Kindern von der Kugel auszugehen. In dem Vortrag, der den Titel trägt „Der neue baukünstlerische Gedanke“, den er 1914 in Dornach hielt, führt er aus: „Aber in der Form kann die Selbstheit, die Ichheit empfunden werden, und zwar, wenn man vom rein mathematischen Formwissen zum Formfühlen übergeht, dann wird man stets empfinden bei dem völligen Kreis die Ichheit, die Selbstheit. Kreis fühlen würde heißen Selbstheit fühlen. Kreis fühlen in der Ebene, Kugel fühlen im Raum, ist Selbstheit fühlen, Ich fühlen.... Wenn Sie sich klarmachen, dass im Grunde genommen der wirklich lebendig empfindende Mensch, ... (auch) wenn er ein kleines Stück Kugelschale sieht, er fühlt, dass das hindeutet auf das Sich-selbstständig-Fühlen. Wenn der Mensch so fühlt, dann lernt er in Formen leben. Und es ist gewissermaßen das Charakteristische des lebendigen Fühlens, in den Formen leben zu können.“[34]
Im Mai 1920 spricht Rudolf Steiner im sogenannten „Baseler Lehrerkurs“ unter anderem über die Bedeutung, die Rhythmus für die Kindererziehung hat. Dabei klingt wiederum das Motiv der beiden polaren Strömungen im Künstlerischen an. die des Plastisch-Bildnerischen und die des Musikalischen „Der Mensch wechselt in seinem Leben täglich zwischen Schlafen und Wachen.... Wir werden nur leicht eine Vorstellung gewinnen können von dem Zusammenwirken des Lebens in diesen zwei Zuständen, wenn wir auf zwei polarische Gegensätze hinweisen, die eben auch eine große Bedeutung für die ganze Erziehungskunst im menschlichen Leib « haben. Es handelt sich um das Zeichnerische und das Musikalische, zwei Gegensätze, die wir schon erwähnt haben, und die wir heute von einem besonderen Gesichtspunkte aus noch einmal betrachten wollen. - Fassen wir das Zeichnerische ins Auge, zu dem ich jetzt auch das Malerische, das Plastische rechne. Erinnern wir uns dabei an alles, was wir in Bezug auf das Zeichnerische schon vom Beginn der Volksschulzeit an für das Kind als notwendig erachtet haben. Was zeigt uns das Zeichnerische? Es zeigt uns, dass der Mensch diejenige Form, die er in der Außenwelt wiederfindet, aus seiner eigenen Natur heraus formt. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass das Sich-halten an das Modell nicht dasjenige ist, worauf es ankommt, sondern dass wir finden müssen aus unserer eigenen Natur heraus ein Gefühl, ein Empfinden für Form. Aber wir werden doch zuletzt gewahr werden, dass wir mit alledem, was wir im Zeichnen, im Malen, was wir überhaupt in all dem, was bildend im Raume ist, was von uns als Gestaltung im Raum bewirkt wird, in einem Elemente drinnen stehen, was uns im Wachzustande der Außenwelt umgibt. Wir zeichnen Linien, wir malen Farben, wir bilden Formen nach. Linien stellen sich uns dar, obwohl sie als solche nicht in der Natur vorhanden sind; aber sie stellen sich uns durch die Natur dar, Farben. Formen ebenfalls.“[35]
Im zweiten Vortrag der ..Meditativ erarbeiteten Menschenkunde“ charakterisiert Rudolf Steiner diejenigen Kräfte, die vom siebten Jahre ab als Seelenkräfte im Leib des Kindes wirksam werden.
Die folgenden Auszüge mögen dazu anregen, die Darstellung im Zusammenhang zu studieren: „Es ist Zahnwechsel der physische Ausdruck dieses Kampfes jener beiden Kräftearten; jener Kräfte, die im Kinde zum Vorschein kommen als die Verstandes- und die intellektuellen Kräfte, und jener Kräfte, die besonders verwendet werden müssen im Zeichnen, Malen und Schreiben. Alle die Kräfte, die da heraufschießen, verwenden wir dann, wenn wir
Aus dem Zeichnen das Schreiben herausentwickeln; denn diese Kräfte wollen eigentlich übergehen in plastisches Gestalten, in Zeichnen und so weiter. Das sind die Kräfte, die im Zahnwechsel ihren Abschluss vorher den Körper des Kindes ausplastizierten, die Skulpturkräfte, und die wir verwenden später, wenn der Zahnwechsel vor sich gegangen ist, um das Kind zum Zeichnen, zum Malen und so weiter zu bringen. Es sind dies hauptsächlich diejenigen Kräfte, die in das Kind gelegt sind von der geistigen Welt aus, in denen die kindliche Seele gelebt hat vor der Empfängnis, in der geistigen Welt. Sie wirken zuerst kopfbildend als Körperkräfte und dann vom siebten Jahre ab als Seelenkräfte. ... Das ist das Geheimnis: diese Kräfte hängen zusammen mit dem, was wir durchgemacht haben zwischen dem Tode und unserer neuen Geburt. Man bekommt das, was man braucht innerhalb der Erziehungswirksamkeit als die Ehrfurcht, die einen religiösen Charakter haben kann, wenn man sich bewusst wird: Die Kräfte, die du aus dem Kinde herausholst um das siebte Jahr, die du zum Zeichnen- oder Schreibenlernen verwendest, sie schickt dir im Grunde genommen der Himmel; also die geistige Welt schickt herunter diese Kräfte, das Kind ist der Vermittler, und du arbeitest eigentlich mit den aus der geistigen Welt heruntergesendeten Kräften. Diese Ehrfurcht vor dem Geistig-Göttlichen ist, wenn sie den Unterricht durchströmt. tatsächlich etwas. was Wunder wirkt im Unterrieht. Und wenn Sie dieses Gefühl haben, dass eine tiefe Ehrfurcht erzeugt, dann werden Sie sehen, dass Sie durch das Vorhandensein dieses Gefühls mehr bewirken können als durch alles intellektuelle Ausspintisieren dessen, was man tun soll. Die Gefühle, die der Lehrer hat, sind die allerwichtigsten Erziehungsmittel. Und diese Ehrfurcht ist etwas, was ungeheuer bildend auf das Kind wirkt.“[36] Nach weiteren tiefgreifenden Ausführungen über die Wirksamkeit der plastisch-architektonischen Kräfte einerseits und der sprachlich-musikalischen Kräfte andererseits folgt: ..Bekommen wir mehr Ehrfurcht, indem wir unseren Zusammenhang, unsere Korrespondenz pflegen mit dem Vorgeburtlichen, wie wir sie schon charakterisiert haben, so bekommen wir mehr Begeisterung, Enthusiasmus für den Unterricht aus der Vertiefung in die anderen Kräfte des Menschen. Ein dionysisches Element gleichsam strahlt durch den musikalisch-sprachlichen Unterricht, während wir ein mehr apollinisches Element bekommen für den plastischen Unterricht, für den Mal- und Zeichenunterricht.
Den Unterricht, der sich auf das Musikalisch-sprachliche bezieht, geben wir mit Enthusiasmus, den anderen geben wir mit Ehrfurcht."[37] „Ehrfurcht md Enthusiasmus, das sind die geheimen Grundkräfte, welche als die zwei Kräfte in Betracht kommen, die die Lehrerseele eben durchgeistigen müssen.“[38]
Im vierten Vortrag der „Meditativ erarbeiteten Menschenkunde“ leitet Rudolf Steiner die Lehrer und Erzieher dazu an, das Werden eines Menschen, den ganzen Aufbau des Seelischen aus dessen körperlicher Organisation heraus, aus den besonderen Merkmalen und Bewegungen der menschlichen Gestalt verstehen zu lernen, zu enträtseln. „Das kann uns Merkwürdiges verraten, wenn man auf diese Weise Kinder kennen lernt; wenn der Lehrer ein Mensch ist, der in dieser Art dazu neigt, mehr nach dem karmischen Verstehen hinzutendieren.... Und kurioserweise ist es so, dass wir durch diese Art, uns zum Kinde zu stellen, in uns die Liebe zum Kinde entwickeln, dass wir es dahin bringen, es mit immer größerer Liebe zu erfassen.“ Und wenn Rudolf Steiner dann in diesem Zusammenhang schildert, wodurch ein Mensch zum Plastiker wird, dann können wir verstehen, dass er dies nicht allein auf die plastische Kunst bezieht, sondern auch auf die pädagogische Kunst. „Und es wird einer ein Plastiker dadurch, dass er lernt, den Organismus in seinen Formen zu erfassen. Es ist ja ungeheuer interessant, den Organismus in seinen Formen zu erfassen, auch zum Beispiel bei der plastischen Kunst. Es ist ein ganz anderes Gefühl, das Sie haben, wenn Sie als Plastiker einen Kopf gestalten, oder wenn Sie den übrigen Organismus gestalten. Beim Kopf haben Sie fortwährend das Gefühl: der Kopf wirkt von innen heraus auf Sie, Sie müssten zurückweichen vor der Kopfbildung; es drückt Sie etwas von ihm heraus. Wenn Sie dagegen den übrigen Organismus formen in der Plastik, so haben Sie das Gefühl: Sie drücken hinein, indem sich vor Ihnen dieser übrige Organismus zurückzieht. Genau das entgegengesetzte Gefühl also hat man beim plastischen Formen in Bezug auf den Kopf und den übrigen Organismus. Das zeigt uns, wie man überall die Behandlungsweise kennen lernen muss.“[39]
Nachdem Rudolf Steiner im sogenannten „Weihnachtskurs“ für Lehrer in Dornach zunächst Grundsätzliches zur Anleitung der Schulanfänger im Malen mit flüssigen Farben angesprochen hat. geht er über zum Plastizieren. Er erwähnt es hier auch im Zusammenhang mit dem Erlernen der Sprachen. Und wiederum ist es ihm dabei wichtig, dass das Plastizieren früh, gerade in der ersten Zeit, an das Kind herangebracht werden soll. „Und so unbequem es auch sein mag. kleine plastische Dinge soll man vom Kinde durchaus anfertigen lassen, nun ja, aus dem Material, das Sie irgendwo finden. Es ist ja wahr, dass man nötig hat. die Kinder vor dem Sich-zu- schmutzig-Machen zu bewahren, das ist ja unbequem, aber was die Kinder dabei gewinnen, das ist ungeheuer viel mehr wert, als dass die Kinder sich nicht irgendwie dabei beschmutzen und dergleichen. Kurz, es ist notwendig, das künstlerische Element gerade in der ersten Zeit an das Kind heranzubringen. Alles dasjenige, was aus dem Kinde herauskommen muss, das ist in kindlicher Art an das Kind heranzutragen. Wenn man in dieser Weise Kunst an die Kinder heranbringt, dann geht es mit den anderen Fächern viel leichter. Sie lernen zum Beispiel die Sprachen viel leichter, wenn man Kunst an sie heranbringt." [40]
In dem Zyklus „Der Jahreskreislauf als Atmungsvorgang der Erde und die vier großen Festeszeiten" teilt uns Rudolf Steiner mit, wie das Hochsommerfest dann zu unserem Johannifest geworden ist, und das Tiefwinterfest, das zu unserem Weihnachtsfest geworden ist in sehr alter Erdenzeit im Zusammenhang mit den alten Mysterienlehren begangen wurden. „Aber wie zur Johannizeit alles getaucht war in das musikalisch-poetische Element, in das tänzerische Element (streng rhythmisch angeordnete Reigentänze, begleitet von primitiven Instrumenten. Anm. von H. L.). so war in der Tiefwinterzeit alles zunächst so vorbereitet, dass die Menschen wussten: sie müssen still werden, sie müssen in ein mehr beschauliches Element hineinkommen ... Das Lehrhafte fiel in die Wintermonate ... so von unserer September-Oktoberzeit an wurden die Menschen von den Mysterienschülern angeleitet zu dem. was wir heute Rätselraten, Fragen beantworten nennen würden, auch zum Werfen der Runenstäbe und Deuten der sich daraus ergebenden Formen. Aber insbesondere wurden solche Dinge gepflegt, allerdings in der alten primitiven Form, die dann zu einer gewissen primitiven plastischen Kunst führten. ... Wenn die Ernte vorüber war und die Glieder ausruhten, dann regte sieh in ihnen (den Menschen. Anm. von H. L.) das Bedürfnis nach irgendeiner Betätigung, und dann bekamen die Glieder die Sehnsucht zu kneten. Man hatte an allem plastischen Bilden seine besondere Befriedigung. So wie zur Johannizeit ein intensiver Trieb nach Tanz, nach Musik auftauchte, so tauchte gegen die Weihnachtszeit hin ein intensiver Trieb auf zu kneten, zu bilden aus allerlei weichen Massen, die da waren, zu bilden, auch alles Natürliche dazu benützend…
In der Tiefwinterzeit wandte er (der Mensch, Anm. von H.L.) sich an das irdische Element, und er probierte, was das irdische Element für Formen annehmen kann ... Aus der Plastik, die er herausholte aus dem Naturwirken der Erde, ergab sich für ihn die Anschauung, dass überhaupt aus dem irdischen Elemente die verschiedenen Tierformen herausgebildet werden. Zur Weihnachtszeit verstand der Mensch die Tierformen. Und indem er arbeitete, seine Glieder anstrengte,... da merkte er an der Außenwelt, welche Gestalt er als Mensch selber hat. Das war aber nur zur Weihnachtszeit, nicht sonst; ... Und zur Weihnachtszeit ließen die Mysterienlehrer die Erde auf die Anfrage der Menschen auf dem Wege durch das plastische Bilden antworten, damit der Mensch da allmählich das Interesse bekam für die menschliche Gestalt, für das Zusammenfließen aller tierischen Gestalt in die menschliche Gestalt. Der Mensch lernte zur Weihnachtszeit die Erde in ihrer Formkraft, in ihrer plastisch bildnerischen Kraft kennen und lernte kennen, wie ihm die Sphärenharmonien sein Ich hereinklangen in sein Traumbewusstsein zur Johannizeit im Hochsommer. Und so erweiterten zu besonderen Festeszeiten die alten Mysterien das Menschenwesen."[41] Wenn wir bedenken, dass die Geschichte der Menschheitsentwickelung deutliche Parallelen zur Entwicklung des Einzelnen, auch des heutigen Menschen, aufweist, so können wir aus dem Gesamtzusammenhang dieses zuvor zitierten Vortrages schließen, dass sich im Hinblick auf den Jahreslauf die Herbst- und Winterzeit am besten für die Unterweisung der Kinder im Plastizieren eignet.
Wenige Wochen später, im Mai 1923, spricht Rudolf Steiner in Kristiania (Oslo) wiederum über die Kunst und darüber, was Anthroposophie für die Kunst will, für das künstlerische Schaffen und für das künstlerische Auffassen. Er zeigt hier, wie in den verschiedenen Bereichen der Kunst das Leben, das Lebendige, aus den Mitteln, derer sich die jeweilige Kunst bedient, herausgelöst werden kann. Da spricht er zunächst über das Malerische und das Erleben der Farben und dann über das Plastische so: „Das Lebendige zeigt sich uns in der Pflanze durch das Grün in einem toten Bilde. Das ist gerade das Reizvolle, dass sich das Lebendige in dem toten Bilde zeigt. Wir brauchen nur daran zu denken, wie uns die menschliche Gestalt in dem toten Bilde der Plastik erscheint, und wie das Reizvolle gerade darinnen besteht, dass im Plastischen ein totes Bild des Lebendigen erscheinen kann, dass in toten, starren Formen das Leben zum Ausdrucke gebracht werden kann. So ist es auch im Farbigen mit dem Grün.“[42] Im gleichen Vortrag geht Steiner unter dem oben genannten Aspekt über zum Dichterischen: „Das Dichterische entspringt aus der Phantasie. Die Phantasie stellt für den Menschen gewöhnlich nur das Unwirkliche vor, das, was man sich einbildet, was nicht da ist. Aber welche Kraft äußert sich denn eigentlich in der Phantasie? Schauen wir, um die Kraft der Phantasie zu verstehen, dazu einmal das kindliche Alter an. Das kindliche Alter hat noch nicht Phantasie. Es hat höchstens Träume. Die frei schöpferische Phantasie lebt noch nicht im Kinde. Sie lebt nicht offenbar. Aber sie ist nicht etwas, was plötzlich aus dem Nichts hervorkommt. Die Phantasie ist doch, nämlich verborgen da im Kinde, obwohl sie sich nicht offenbart, und das Kind ist eigentlich voll von Phantasie. Aber was tut denn beim Kinde die Phantasie? Ja, dem der mit unbefangenem Geistesauge die Menschenentwickelung betrachten kann, zeigt sich, wie im zarten Kindesalter noch unplastisch im Verhältnis zu der späteren Gestalt namentlich das Gehirn, aber auch der übrige Organismus ausgebildet ist. Das Kind ist innerlich der unglaublichste, bedeutende Plastiker in der Ausgestaltung seines eigenen Organismus. Kein Plastiker ist imstande, so wunderbar aus dem Kosmos heraus Weltenformen zu schaffen, als das Kind sie schafft, wenn es in der Zeit zwischen der Geburt und dem Zahnwechsel plastisch das Gehirn ausgestaltet und den übrigen Organismus. Das Kind ist ein wunderbarer Plastiker, nur arbeitet die plastische Kraft in den Organen als innerliche Wachstums- und Bildekraft.“[43] Im August 1924 wird| Rudolf Steiner das zuletzt Zitierte in Torquay, England in ähnlicher Weise wieder aufgreifen und dann die Lehrer dazu auffordern, die Kinder nach dem Zahnwechsel plastizieren und malen zu lassen, weil sie den Drang haben. Formen plastisch malerisch zu bilden.
Als Rudolf Steiner im August 1923 in llkley, England über die Begründung und Einrichtung der Waldorfschule spricht, äußert er sich im Hinblick auf das Plastisch-Bildnerische unter anderem folgendermaßen: „dass für das Plastisch-Bildnerische gesorgt wird, ergibt sich ja schon dadurch, dass man aus dem Malerischen das Schreiben herauszuholen hat. Also man beginnt ja nach dem Waldorfschul-Prinzip mit einem malerisch-zeichnerischen Unterricht schon im ganz zarten Kindesalter. Auch das Plastische wird möglichst viel gepflegt, allerdings erst etwa vom neunten, zehnten Jahre an und in primitiver Weise. Aber es wirkt ungeheuer belebend auf das physische Sehvermögen des Kindes, auf die Beseelung des physischen Sehvermögens, dass das Kind auch in das Formen von plastischen Gestalten in der rechten Weise im richtigen Alter eingeführt werde. ... Und für dieses richtige Sehen lernen ist es ganz besonders fruchtbar, die plastische Betätigung, die das Gesehene vom Kopf ableitet, von den Augen in die Fingerbewegung, in die Handbewegung ableitet. beim Kinde möglichst frühzeitig zu pflegen."[44]
Kurz darauf, im gleichen Vortrag, spricht Rudolf Steiner darüber, wie man in der rechten Weise Einsicht, Verständnis für die Welt gewinnen und lernen könne, die verschiedenen Naturreiche zu begreifen. „Wenn man die Mineralien begreifen will, kann man das nach Ursache und Wirkung. Physikalisches lässt sich so begreifen. Kommt man zu den Pflanzen herauf, dann ist es schon unmöglich, alles durch Logik, durch Verstand, durch Intellekt zu begreifen. Das muss schon das plastische Prinzip im Menschen sich regen, da gehen die Begriffe, die Idee über in bildhafte Formen. Und alles, was wir an plastischer Geschicklichkeit dem Kinde beibringen, gibt ihm die Befähigung, das Pflanzenwesen seinen Gestaltungen nach zu begreifen. Wollen wir das Tierreich begreifen, wir können es nicht anders, als wenn wir in uns die Verständnisbegriffe durch die moralische Erziehung veranlagen lassen. ... Und wollen wir zum Menschen heraufkommen, dann brauchen wir ein umfassendes Kunstverständnis.“[45] Dass das Plastische mit den Kindern möglichst viel gepflegt werden solle, ist - wie wir aus diesen vorangehenden Äußerungen ersehen können - von tiefgreifender Bedeutung für ein lebendiges Verständnis, für ein einfühlsames Begreifen des Pflanzenwesens im Hinblick auf seine Gestaltung. Darauf scheinen die Äußerungen über das Plastizieren in diesem Vortrag hinzuzielen. Allerdings erscheint es rätselhaft, dass Rudolf Steiner hier sagt, das plastische Üben solle erst etwa vom neunten, zehnten Jahr an beginnen, ohne diese Altersangabe zu begründen,
Diese Aussage steht im Widerspruch zu der Angabe, wir im dritten Lehrplanvortrag finden: „Plastisches soll vor dem neunten Jahr beginnen...“[46].
Diese Tatsache bietet Anlass zur Klärung. Vielleicht helfen die von mir geschilderten Unterrichtserfahrungen, diesen Widerspruch aufzulösen.
Was die Kinder durch das plastische Gestalten lernen und gewinnen sollen, wird aus all diesen Äußerungen deutlich. Wie der Lehrer diese Aufgabe in den ersten Schuljahren methodisch, vor allem aber künstlerisch, verwirklichen könnte, ist dagegen nur kurz angedeutet, beispielsweise „Kugeln, dann anderes..." Im Vergleich mit den differenzierten methodischen Anregungen und den zahlreichen konkreten Unterrichtsbeispielen, die Rudolf Steiner zum Formenzeichnen in den Seminarbesprechungen und in vielen pädagogischen Vorträgen nach August 1919 gegeben hat, ist das nicht viel und doch kann man aus der Zusammenschau aller Äußerungen andeutungsweise erkennen, welchen Weg man mit den Kindern gehen könnte. In den nun folgenden Ausführungen erfährt der Lehrer, wie er sich schulen kann, um dieser künstlerischen und pädagogischen Aufgabe gerecht zu werden. - Es ist auffallend, dass Rudolf Steinerzwischen April und August 1924, also im letzten Jahre seines pädagogischen Wirkens, mehr Gewicht auf die Bedeutung des Plastizierens legt, als er das bis dahin getan hat, vor allem im Hinblick auf die Lehrerbildung und auf die Aus- und Weiterbildung der Medizinstudierenden und Ärzte. Aus den im Folgenden zitierten Äußerungen fällt in besonderer Weise Licht auf die Wirkungen, die das plastische Gestalten auf denjenigen hat, der es ausübt. So spricht Rudolf Steiner am 10. April 1924 in Stuttgart: „Wenn man sich hineinlebt in das plastische Gestalten, wenn man weiß, eine Rundung wird so, eine Ecke wird so, aus den inneren Kräften heraus wird das so. Mit dem, was man als die allgemeinen Naturgesetze begreift, kann man den Ätherleib nicht begreifen. Mit dem, was man in die Hand, in die durchgeistigte Hand hineinbekommt, mit dem begreift man den Ätherleib. Daher sollte eigentlich keine Seminarbildung sein ohne aus dem Innern des Menschen hervorgehende künstlerische Betätigung in Plastik, in Bildhauerei. Wenn das fehlt, ist es für das Erziehen viel ungünstiger, als wenn einem fehlt die Hauptstadt von Rumänien ... , denn das kann man im Lexikon nachschlagen. ... Das schadet auch nicht, wenn man im Lexikon nachschaut. Aber es gibt noch kein Lexikon, wodurch man jene Beweglichkeit kennen lernt, jenes könnende Wissen und wissende Können, das man in sich haben muss, um den Ätherleib zu begreifen, der nicht nach Naturgesetzen vorgeht, sondern der in plastischer Tätigkeit den Menschen durchzieht."[47]
Als Rudolf Steiner dann vom 13. bis 17. April 1924 einen pädagogischen Kurs in Bern gibt, spricht er wiederum eingehend zu diesem Thema: „…es müsste, damit eine gewisse Fähigkeit einträte, wirklich hinzuschauen auf die Art und Weise, wie sich zum Beispiel der Ätherleib im Menschen zeigt, eine ganz andere Art von Seminar- und Universitätsausbildung da sein. Die wäre notwendig sowohl für den Lehrer auf allen Gebieten, wie namentlich auch für den Mediziner. Und die würde zunächst darin bestehen, dass man lernt, wirklich von innen heraus, aus der Entfaltung der menschlichen Natur heraus bildhauerisch zu modellieren, so dass man in die Lage käme, Formen aus ihrer inneren Gesetzmäßigkeit heraus zu schaffen. Sehen Sie, die Form eines Muskels, die Form eines Knochens wird nicht begriffen, wenn man sie so begreifen will, wie man es in der heutigen Anatomie und Physiologie tut. Formen werden erst begriffen, wenn man sie aus dem Formensinn heraus begreift."[48] Es folgt eine ausführliche Charakterisierung des Ätherleibes im Zusammenhang mit der Sternenwirkung im Kosmos, über die Wirkung kosmischer Kräfte auf die Formbildung der menschlichen Muskulatur und des Knochensystems. Dann Ausführungen, die sich direkt an den Bildhauer wenden und schließlich: „Man muss sich wenden können an den großen kosmischen Plastiker, der die Form aus dem heraus erschafft, was dem Menschen werden kann als Raumgefühl. Das muss erst entwickelt worden: Raumgefühl.“ [49] „Weil der Mensch nur die groben Sinne entwickelt, deshalb entwickelt er nicht dieses feine Raumgefühl. … Und hat man ein Gefühl für dieses tastende Behandeln der weichen plastischen Masse die Bedingung für das Verstehen des Ätherleibes, so wie in dem Verstande, der an das Gehirn gebunden ist und den Sinnesorganen die Bedingungen für das Verstehen des physischen Leibes liegen. Es handelt sich darum, dass man erst die Erkenntnismethode schaffen muss: nämlich plastische Anschauung, die immer etwas verbunden ist mit innerer plastischer Tätigkeit. Sonst hört die Menschenerkenntnis beim physischen Leibe auf, denn der Ätherleib ist nicht in Begriffen, sondern in Bildern zu erfassen, die man doch nur begreift, wenn man sie in gewisser Weise nachformen kann, wie sie aus dem Kosmos heraus sind.“[50]
Vom 21. bis 25. April 1921 gibt Rudolf Steiner den sogenannten Osterkurs für Ärzte und Medizinstudierende in Dornach. Dabei wird er unter anderem nach einem Weg zum Erfassen des Ätherischen gefragt. Daraufhin gibt er den Kursteilnehmern eine plastische Übung an; allerdings nur verbal. Es handelt sich um das Plastizieren der menschlichen Gestalt in fünf aufeinander folgenden Schritten - ausgehend von der Kugel. Er führt dazu aus, wie die Ausweitungen durch die vom Kosmos einstrahlenden Kräfte bewirkt werden. An anderer Stelle ergänzt er. dass die Einstülpungen dagegen Wirkungen der aus dem Erdinnern herausstrahlenden Kräfte der Verdichtung seien.[51]
Vom 12. bis 20. August 1924 spricht Steiner zu den zukünftigen Lehrern der ersten englischen Waldorfschule in Torquay, England. Es ist dies der letzte pädagogische Kurs, den er überhaupt geben kann. Aus seiner tiefen, umfassenden Menschenerkenntnis heraus und mit schöpferischer Phantasie ergreift er das Thema des plastischen Gestaltens am 18. August, am vorletzten Tag des Kurses, noch einmal: „Nun müssen wir uns darüber klar sein, dass mit dem Zahnwechsel eigentlich erst die selbstständige Tätigkeit des Ätherleibes des Menschen beginnt. Der Ätherleib hat in den ersten sieben Lebensjahren mit allem, was er an selbstständiger Betätigung aufbringen kann, zu tun, um den zweiten physischen Körper wirklich zu bilden. So dass dieser Ätherleib in den ersten sieben Lebensjahren ein ausgesprochener innerer Künstler im Kinde ist, ein Plastiker, ein Bildhauer. Diese bildhauerische Kraft, die da vom Ätherleib auf den physischen Leib angewendet wird, wird frei, emanzipiert sieh mit dem siebenten Lebensjahre mit dem Zahnwechsel. Sie kann sich dann seelisch betätigen. - Daher hat das Kind durchaus den Drang, Formen plastisch oder malerisch zu bilden. Der Ätherleib hat ja die ersten sieben Lebensjahre hindurch an dem physischen Leib plastiziert und gemalt. Jetzt will er diese Tätigkeit, da er an dem physischen Leib nichts weiter oder wenigstens nicht so viel zu tun hat, außen ausführen. Wenn Sie daher als Lehrer selber recht gut kennen, welche Formen am menschlichen Organismus vorkommen, und daher wissen, was das Kind aus plastischen Stoffen heraus gern formt oder was es mit Farben gerne hinmalt, dann werden Sie dem Kinde eine gute Anleitung geben können. Sie müssen aber selber eine Art künstlerischer Anschauung haben vom menschlichen Organismus. Daher ist es schon wichtig für den Lehrer, weil die heutige Seminarbildung darinnen noch gar nichts tut, sich selber plastisch zu betätigen.“[52]
Es folgt dann eine Anleitung zum Organplastizieren, die Aufforderung, plastisch Anatomie zu treiben als Vorbereitung für die künstlerische Arbeit mit den Kindern, auch im Hinblick auf die Mittelstufe, wo das Plastizieren im Zusammenhang mit der Menschenkunde auf eine ganz bestimmte Weise durch den Lehrer angeregt werden soll. Hier wörtlich: „Nun ist es sehr interessant, wenn man die Kinder einfach so drauflos arbeiten lässt, nachdem man ihnen etwas erklärt hat vom Menschen, die Lunge oder ein anderes Organ, dann fangen sie an, solche Formen aufzubauen, wie die Lunge oder die dem ähnlich sind, und zwar ganz von selber. Das ist sehr interessant zu sehen, wie das Kind aus seiner eigenen Menschenwesenheit heraus formt. Und deshalb ist es so notwendig, dass Sie sich auf diese plastische Methode wirklich einlassen, sich Mittel suchen, wodurch Sie in die Lage kommen, die Formen der menschlichen Organe sinngemäß wirklich nachzubilden. mit Wachs oder in Plastilin oder meinetwillen - wie es oftmals auch unsere Kinder machen - in Straßenschmutz. Nun ja. wenn man anderes Material nicht hat, so ist das ein sehr gutes Material."[53]

[2] GA 294, S. 10, 21.8.1919
[3] GA 311, S. 96, 18.8.1924
[4] GA 295, S. 182, 6.9.1919
[5] Vgl. hierzu auch Patzlaff, Der gefrorene Blick, 2001
[6] Patzlaff, S.110
[7] GA 294, S. 19, 21.9.1919
[8] GA 286, S.77, 28.6.1914
[9] Schubert, 1985, S. 171
[10] GA 294, S. 19, 21.8.1919
[11] GA 295, S 17, 6.9.1919
[12] GA 307, S.176f, 14.8.1923
[13] GA 307, S. 180, 14.8.1923
[14] GA 311, S. 98, 18.8.1924
[14a] GA 303, S.180 ff, 1.1.1922
[15] GA 294, S. 150 f.
[16] GA 295, S. 169, 6.9.1919
[17] GA223, S. 67 f, 7.4.1923
[18] Jünemann, Weitmann, 1976, S. 9 und S. 100
[19] GA 271, 28.10.1909
[20] Kranich, 2002
[21] Patzlaff, 2001, S. 110
[22] Ein Spruch, den die Lehrerin für jedes einzelne Kind auswählt und mit dem Jahreszeugnis ausgibt.
[23] GA 275, S. 123 f, 2.1.1915
[24] GA 294, S. 10 f, 21.8.1919
[25] GA 294, S. 15, 21.8.1919
[26] GA 294, S. 11, 21.8.1919
[27] GA 294, S. 37, 23.8.1919
[28] Hervorhebung durch H.L.
[29] GA 294, S. 19, 21.8.1919
[30] GA 294, S. 56 f, 25.8.1919
[31] GA 295, S. 169, 6.9.1919
[32] GA 295, S.17, 6.9.1919
[33] GA 295, S. 182, 6.9.1919
[34] GA 286, S. 76, 28.6.1914
[35] GA 301, S. 171 f, 6.5.1920
[36] GA 302a, S. 26 ff, 16.9.1920
[37] GA 302a, S. 31, 16.9.1920
[38] GA 302a, S. 33, 16.9.1920
[39] GA 302a, S. 67 f,22.9.1920
[40] GA 303, S. 223 f, 3.1.9122
[41] GA 223, S. 65 ff.., 7.4.1923
[42] GA 276, S. 132, 29.5.1923
[43] GA 276, S. 141 f.,20.5.1923
[44] GA 307, S. 222, 16.8.1923
[45] GA 307, S. 224, 16.8.1923
[46] Hervorhebung durch H.L.
[47] GA 308, S. 53, 10.4.1924
[48] GA 309, S. 44, 15.4.1924
[49] GA 309, S. 46, 15.4.1924
[50] GA 309, S. 47, 15.4.1924
[51] Husemann, 1982, S. 23
[52] GA 311, S. 96 ff.,18.8.1924
[53] GA 311, S.98, 18.8.1924