MICHAEL MARTIN
Die Schritte, die das Kind in seiner Entwicklung tun muss, damit die Fächer Gartenbau und Werkarbeit eine innere Berechtigung und damit ihre Aufgabenstellung haben können, sind im 1. Teil dieses Buches besprochen worden. Hier soll nun auf einige allgemeine Phänomene eingegangen werden, die für beide Fächer charakteristisch sind.
In beiden Bereichen werden viele rein mechanische Arbeitsgänge ausgeführt wie Umgraben, Hacken, Karren, Sägen, Spalten, Hämmern. Sie könnten ebenso von Maschinen geleistet werden. Rudolf Steiner führt aus, dass kein Unterschied besteht zwischen dem, was der Mensch durch sein Knochensystem an Arbeit verrichtet, und dem, was eine Maschine machen kann. Beide Prozesse haben die gleiche Wirkung. «Mechanik, Dynamik, die vom Menschen unabhängig ist, geht in das Skelett hinein. Wir müssen uns bequemen, das Skelett so zu behandeln, wie wenn es objektiv wäre, gar nicht am Menschen wäre...»[1] Durch die mechanische Arbeit werden wir mit der Welt eins, wir nehmen etwas von ihr in uns auf. Andere Arbeiten wiederum bedürfen des Feingefühls der Hand im Umgang mit den Pflanzen oder beim Schnitzen mit dem Hohleisen. Dabei strömt durch die Hand etwas von unserer Seele in die Welt hinaus. In diese Wechselwirkung tritt das Kind durch beide Fächer ein.
Für die Arbeit im Garten ist eine zur Erde gebeugte Körperhaltung typisch. Sie ist für viele Verrichtungen notwendig, die Erde fordert das Bücken, das Niederknien zu den Pflanzen heraus. Die wichtigsten Arbeiten für die Zubereitung des Erdreiches werden mit der Kraft des Körpers ausgeführt. Dabei spielt der Stand der Füße auf dem Erdboden eine entscheidende Rolle. Unbewusst erlebt das Kind den Ansatz der Kraft am Widerstand der Erde unter der Fußsohle. Ebenso unbewusst mag im Seelengrund die Stimmung schwingen, dass der Erde ein Wachsen, Blühen und Fruchten nur entlockt werden kann durch die liebevolle Mühe, die der Mensch ihr zuwendet. Diese Ahnung erhält im Zeitalter des Waldsterbens, des Verkümmerns der Naturkräfte ganz allgemein eine noch kaum erkannte Dimension. Und zuletzt mag es ebenso unbewusst im kindlichen Gemüt wie ein Trost leben, dass das Paradies der Kindheit zwar verlassen werden muss, es aber in die Hand des Menschen gelegt ist, ein neues Paradies aus den unscheinbaren Samenkörnern erstehen zu lassen, wenn er die Kräfte von Erde, Sonne, Wärme und Regen in rechter Art und Kenntnis zur Hilfe aufruft und schützend und sorgend das keimende Wachstum leitet.

Die Werkstattarbeit bringt neben manchem Gleichartigen ganz andere Impulse hinzu. Der Werkstoff wird aus dem natürlichen Zusammenhang herausgelöst, bevor er zum Werkstück wird. Das Holz wird soweit durch die Werkbank emporgehoben, dass das Kind aus dem Stand im unmittelbaren Bereich der Hände, im Gefühlsraum des Herzens, seine Arbeit verrichten kann. Darin zeigt sich an, dass das Werkstück mehr zur Persönlichkeit gehört als die Pflanzen in der Weite des Gartens. Es arbeitet jeder sein eigenes Werkstück, während der Garten durch die Gemeinschaft gepflegt wird. Die Arbeitskraft setzt am Widerstand des Fußbodens an, der im Gegensatz zum Erdreich eine absolut waagrechte Ebene bildet; auch hier ein Loslösen aus dem, was natürlich ist. Jetzt bekommt das Kind «ein innerlich erlebtes Verständnis von Ursache und Wirkung, von Kraft und von demjenigen, was als Aufrechtes gefühlt wird, was als Horizontales gefühlt wird.»[2] Nicht etwa nur beim Sägen oder Holzspalten, sondern selbst beim feinen Schnitzen mit dem Hohleisen an der Werkbank muss der Schüler einen festen Stand haben, wenn der Schnitt sicher ins Holz greifen soll. Vom Lehrer muss ihm bewusst gemacht werden, wie ohne die Festigkeit der Erde solche werktätige Arbeit nicht verrichtet werden kann! Früher haben die Schüler des Erdengrundes zur Arbeit noch nicht bedurft; man konnte z.B. gut auf einer Schaukel sitzend, unberührt von der Erde, seinen Strumpf stricken oder mit dem Handschnitzmesser die saftige Rinde von der Gerte schälen.
Der Werkduktus ist vor dem 12. Lebensjahr ein ganz anderer. Da lebt das Kind noch ganz in seinem rhythmischen System von Atem und Puls. Die Muskeln, und damit auch seine Bewegungen, sind mit diesem eng verbunden. Während sich der Mensch durch sein Skelett der äußeren Welt anpasst, ist das Atmungs-, das Zirkulationssystem «wie ein in sich selbst gebautes System..., wie eine abgeschlossene Welt in sich, wie ein wirklicher Mikrokosmos»[3].
Alles, was in der Außenwelt beweglichen, plastischen Charakter hat, kann das Kind mit sich verbinden. Wenn man in diesem Alter mit dem Kind plastiziert, kommt man dieser Bereitschaft besonders entgegen. Die aus dem Handraum gestalteten Formen leben noch ganz in dem in sich geschlossenen rhythmischen System: beide Hände umschließen, formen den Ton, bilden zwischen Körper und Armen einen herz-haften Innenraum. Erst wenn der Ton auf dem Brett als Unterlage aufliegt und hier gestaltet wird, entsteht ein neues Oben-Unten- Verhältnis, das stärker vom Außenraum her bestimmt ist.
Auch das Handschnitzen entspricht ganz der kindlichen Situation vor dem 12. Lebensjahr, besonders dann, wenn der Schnitt geschmeidig zum Körper hin geführt wird. Diese Geste ist wie ein Hereinnehmen der Außenwelt, die uns den Stoff schenkt, aus dem wir etwas machen können. Ganz anders erlebt sich das Kind, wenn es mit kraftvoller Gebärde das Messer von sich wegdrückt und ein großer Span sich vom Holz löst: Der Wille stemmt sich gegen den Werkstoff.
Auf ein neues Motiv, das mit dieser Entwicklungsstufe zusammenhängt, werden wir durch das Handschnitzen aufmerksam: Indem wir das Messer mit der rechten Hand zum Schneiden führen wollen, muss das Holz den notwendigen Widerstand bieten. Noch kein Werkstoff, mit dem das Kind bisher zu tun hatte, war so hart und erforderte einen so starken Eingriff bei der Gestaltgebung! Also muss die linke Hand das Holz fest umgreifen und dieselbe Kraft aufwenden wie die rechte. Dadurch entsteht im inneren Kräfteverhältnis der Muskeln eine in sich geschlossene Symmetrie, die jedoch durch entgegengesetzte Kraftanwendung hervorgerufen werden muss, - sonst kann diese Arbeit nicht geleistet werden. Die Hände arbeiten asymmetrisch, jede hat eine zur anderen polar geartete Aufgabe: die eine hält zurück, bindet, legt fest; die andere drückt, drängt, bewegt. Intensiv verbinden sich die Kinder mit diesen Werkvorgängen. Hier finden wir eine Entsprechung zu anderen Erlebnissen, die dieser Entwicklungsstufe gemäß sind, so z.B. die Betrachtung der tätigen und erleidenden Verbalform im Grammatikunterricht.
Bei dieser Gelegenheit wollen wir zur Frage der hier auftauchenden Asymmetrie in den Arbeitsprozessen einen Blick werfen auf die menschliche Gestalt:
Das Haupt ist, soweit es seinen Knochenbau betrifft, symmetrisch gebildet; rechte und linke Gesichtshälfte ergänzen sich in fest geprägter Form. Die Arme und Hände dagegen sind, jedes für sich betrachtet, absolut unsymmetrisch; sie können sich, voneinander ganz unabhängig, völlig unsymmetrisch bewegen. Sie werden von der Wirbelsäule und dem Brustkorb getragen, die durch ihre ausgewogene Symmetrie den Halt für diese Bewegungsfreiheit bilden. Durch Wachstum und Streckung der Gliedmaßen wird der stark willenshafte Einschlag im 12. Lebensjahr des Kindes deutlich- die Hände fordern Betätigung. In asymmetrischen Arbeitsgängen liegt die Notwendigkeit verborgen, diese zu einer fortwährenden Ausgewogenheit zu bringen. Solche Prozesse sind charakteristisch für die in diesem Alter beginnende Reifezeit[4].
Jetzt bekommt das Kind größere Holzscheite oder auch so hartes Holz, das vom Handschnitzen nicht mehr bewältigt werden kann, weil keine der beiden Hände die notwendige Kraft dazu mehr aufbringt. In der Werkbank und dem Hohleisen mit dem Klöpfel hat sich der Mensch Helfer geschaffen, die sowohl das Festhalten als auch die treibende Kraft des Schneidens verstärken. Das Holz wird an der Werkbank eingespannt; diese übernimmt die festhaltende, Widerstand gebende Aufgabe der linken Hand, damit die volle Kraft des Menschen zum Eingreifen der rechten Hand in das harte Holz zur Verfügung steht. Ich selbst bin nun ganz «rechte Hand», indem ich den Klöpfel zielvoll auf das Ende des Hohleisens sausen lasse. Ich selbst erlebe den Werkvorgang zwischen mir und der Bank, die aber ein Teil von mir ist: Werkbank und ich selbst verschmelzen im einerseits tätigen, umwandelnden, schaffenden - und andererseits haltenden, duldenden, erleidenden Prozeß beim Schnitzen. Das beim Handschnitzen noch im Menschen selbst gewahrte Kräfteverhältnis rechts-links verändert sich so entscheidend, dass die Kräftesymmetrie des Aktiven und Passiven nun die Werkbank mit umfasst: An der Werkbank werde ich eins mit der Welt. Die eigene Aktivität, der Ansatz meiner Körperkraft, werden unterstützt und getragen vom Widerstand an der Erde, aber ebenso die Haltekraft der Werkbank durch den Fußboden, der hier stellvertretend für die Erde steht. Erde - Werkbank - Werkstück - ich selbst werden im Arbeitsprozess zu einer Einheit verbunden.
[1] R. Steiner, GA 305, 22.8.1922. Siehe auch 3. Teil: «Über die Arbeit mit den Metallen».
[2] Siehe Fußnote 1
[3] R. Steiner, GA 303, 2.1.1922
[4] Siehe auch 4. Teil, «Symmetrie und Asymmetrie», S. 237