JOHANNES GEIER
In einer Welt, in der die Sinne überbeansprucht sind und abstumpfen müssen, sollte die Wahrnehmungsfähigkeit des Kindes besonders gepflegt werden. Auf verschiedene Weise versuchen wir, dem jungen Menschen in der Schule zu helfen, neue Welten zu entdecken, in denen er selbständig, tätig, geschickt, einfallsreich und feinfühlig wirken kann. Je nach der Jahreszeit bieten sich dafür viele günstige Gelegenheiten.
Im Herbst und im Winter werden im Hort kleine Gegenstände hergestellt. Wir plastizieren oder machen kleine Instrumente. Über die Anfertigung solcher «Instrumente» soll jetzt berichtet werden. Es sind fast nur «Spielereien», für die Kinder der unteren Schuljahre aber sehr seriös, weil man viel damit anfangen und immer Neues entdecken und versuchen kann.
Das Ohr des Kindes ist ja heute besonders strapaziert; ein hingebungsvolles Lauschen kann nicht mehr vorausgesetzt, sondern muss geübt werden. Um wieder Leises hören zu lernen, das heißt um die Wahrnehmungsfähigkeit des Kindes zu aktivieren, fertigen wir das Schwirrbein oder die Knopfschwirre an. Die rotierenden Schwirrkreisel geben verschiedene leise Surr- und Brummtöne von sich. Bei diesen ersten Arbeiten wird später im Werkunterricht angeknüpft und weiterentwickelt.

Man kann die Kinder auffordern, beim Hähnchenessen die Oberschenkelknochen sorgfältig zu reinigen und sie dann mitzubringen. Bis zum nächsten Tag legt man den Knochen in Wasserstoffsuperoxyd. Man kann ihn auch einige Monate im Freien liegenlassen. Das Bein wird ausgelaugt und ist strahlend weiß. Mit einem Drillbohrer bringt man in Handarbeit zwei kleine Löcher, genau in der Mitte zwischen beiden Enden, an. Anschließend zieht man eine dünne Schnur hindurch und verknotet sie. Man hält mit beiden Händen die Schnur fest, spannt sie und bringt das Schwirrbein in Rotation. Die Schnur wird kräftig auseinanderzogen, bis ein Surren entsteht. Das sanfte Sausen versetzt die Kinder in ein hingebungsvolles Lauschen.
Die Knopfschwirre ist noch einfacher herzustellen, weil das Bohren entfällt. Durch verschieden große und dicke Knöpfe kann dieses Spiel sehr reizvoll sein.
Die Apfelschwirre besteht aus einem etwa 35 cm langen Haselstäbchen, das durch einen Apfel oder eine Kartoffel hindurchgesteckt wird. Baum- und Feldfrucht lassen sich gut durch eine Holzkugel oder Holzscheibe ersetzen. Eine große Haselnuss oder Walnuss wird mit den beiden Spitzen so lange auf einer Granit- oder Sandsteinplatte gerieben, bis an beiden Enden kreisrunde Löcher entstehen. Auf dieselbe Weise bildet man zwei weitere gegenüberliegende Löcher an den beiden Hälften der Nussschale. Darauf wird der Kern mit einem Messer vorsichtig entfernt und das Haselstäbchen als Längsachse hindurchgesteckt. Während das Kind mit einer Hand Stab und Apfel senkrecht auf den Tisch stellt und an der Nuss festhält, zieht es mit der anderen kräftig an der Schnur. Die Schwirre gerät dadurch wie ein Kreisel in Schwung, wobei die Schnur sich zuletzt innerhalb der Nuss wieder auf das Stäbchen aufwickelt. Dabei entsteht ein surrender, summender Ton...

Dann entsteht das Schwirrholz. Ein archäologischer Fund bestätigt, dass das Schwirrholz bereits im 13. und 14. Jahrhundert bekannt war. Es besteht aus einem rechteckigen oder ovalen Brettchen aus Hartholz von etwa 20 cm Länge. Manchmal ist es an den Rändern eingekerbt. An einem Ende wird ein Loch angebracht und daran eine Kordel befestigt. Das Brettchen wird an der Kordel um den Kopf gewirbelt, und zwar so, dass das Brettchen sich um eine Achse dreht und einen rauen, heulenden Ton entstehen lässt. Die Höhe des Tones und die Lautstärke hängen von der Größe und der Umdrehungsgeschwindigkeit des Gerätes ab.
Das Schwirrholz gehört zu den Aerophonen, es wurde besonders häufig von den Hirten in der Tschechoslowakei mitgeführt und galt bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts als magischer Schutz gegen Unwetterschaden. Es hieß «Ide burka, voztacajmy descice» - «Ein Gewitter naht, bringen wir die Schwirrhölzer in Schwung!»
Auch in uns selbst tragen wir die Luft, aus der wir Töne hervorlocken können. Was lässt sich nicht alles mit einem einzigen Atemzug anstellen, und wie verschiedenartig sind die Töne, die wir dabei erzeugen! Sei es, um ein Liedchen zu spielen oder um ein Signal zu geben. Mit geringem Aufwand und Geschick lässt sich viel Wirkungsvolles zu Gehör bringen. Nur einige wenige Vorschläge, die vorwiegend für die Frühlings- oder Sommerzeit und für die Arbeit im Freien zu empfehlen sind, können hier Platz finden: Die Flöte aus Bärlauch, das Blasen auf dem Eichelhütchen, auf dem Grashalm oder einem Löwenzahnstängel.

Die Flöte aus Bärlauch oder ähnlichen rohrförmigen Pflanzenstängeln ist eine Einzellängsflöte. Am besten eignen sich dafür harte und trockene Stängel. Der Stängel wird unterhalb eines Knotens abgeschnitten. Oberhalb des Knotens wird das Rohr steil und schräg nach unten geschnitten, damit eine scharfe, abgerundete Kerbung entsteht. Am oberen Ende des steilen Schnittes wird das Rohr abgeflacht und leicht gehöhlt. Befindet sich kein Knoten an einem Rohr, kann mit dem Finger gedeckt werden. Dadurch kann der Klang modifiziert werden. Die Töne, die auf verschiedenste Weise erzeugt werden, verlangen von dem Schüler in den ersten Schuljahren einfühlsames Hören und geschickte Hände. Bei manchem Spaziergang werden darauf Dinge entdeckt, denen sich Töne entlocken lassen.
Wenn in der 5. Klasse der Fingerfertigkeits- bzw. Werkunterricht beginnt, werden verschiedene Anregungen aus der vorhandwerklichen Zeit aufgegriffen und weitergeführt, so die Weidenflöte, die eine höhere Stufe der Bärlauchflöte darstellt. Ihre Anfertigung wird bei den Werkarbeiten der 5. Klasse beschrieben.
Vorbereitet auf die erste Werkstunde, wartet eine Schar Kinder vor der noch verschlossenen Tür zum Werkraum. Alle sind sehr gespannt. Die neuen Schürzen, noch starr von Appretur, hängen wie Ritterrüstungen an ihnen herab. Die Namenszeichen leuchten bunt auf dunklem Grund. Die Tür öffnet sich, und die Schüler betreten endlich den langersehnten Raum. Hier dürfen zunächst die Sinne walten: Es wird betastet, befühlt und berochen. Hölzer verschiedener Herkunft und von verschiedenem Aussehen werden bestaunt. Ebenso die plastischen Arbeiten der älteren Schüler; die geschnitzten Holztiere müssen gestreichelt werden, und der Duft der harzreichen Holzsorten wird mit Vergnügen aufgesogen.

Aber bald verlassen wir den Werkraum und gehen ins Freie hinaus. Dort befinden wir uns in einem kleinen Weidenwäldchen, wo Stämme frischgeschlagener Bäume darauf warten, gesägt und gespalten zu werden. Nach bewährter Holzhauerart wird mit der Bauchsäge gearbeitet. Ziehen und Ziehenlassen! Die Bauchsäge schwankt wie ein Schiffchen hin und her, auf und ab. Das Schultergelenk bleibt stets in harmonischer Bewegung. Rhythmisch rieselt das Sägemehl auf die dunkle Erde. Jeder Schüler kommt an die Reihe und möchte beim nächsten Schnitt Erster sein. Nie wird die Frage nach dem Zweck dieses Sägens gestellt. Die Bewegung, der Arbeitsablauf an sich füllt die Kinder aus.
Dann werden die meterlangen Klötze gespalten. Das Eindringen des eisernen Keils treibt den Saft aus dem Hirnholz. Jetzt können die Kinder an dem Saft lecken; manchmal schmeckt er süßlich, bei der Weide bitter. Der große, schwere Hammer muss sorgfältig geführt werden, damit er trifft. Knisternd weitet sich der Spalt, bis der Stamm krachend auseinanderfällt. Sonst wird die Spaltaxt zu Hilfe genommen. Frischer Duft entströmt dem bloßgelegten, nun dem Tageslicht zugewandten Inneren des Holzes.

Während einer Verschnaufpause erfahren die Schüler einiges über den Sinn ihrer Tätigkeit. Sie hören, dass das Holz sorgfältig gelagert und nur ganz langsam getrocknet werden muss, damit später daraus kostbare Dinge angefertigt werden können. Sie hören auch, dass es Jahre dauern wird: möglicherweise werden sie bis dahin schon die Schule verlassen haben, bis dieses Holz verarbeitet werden wird. Sie hören, dass der Förster seine hochgewachsenen Bäume pflegt, obwohl es ihm klar ist, dass er sie zu seinen Lebzeiten beispielsweise nicht an einen Geigenbauer verkaufen kann, und dass auch der Geigenbauer später weiß, dass er das Klangolz höchstens für seinen Enkel sorgfältig lagert.
Darauf werden die Scheite mit der nötigen Sorgfalt gestapelt, immer mit der Rinde nach unten, und vor dem Regen abgedeckt. Unser kleines Wäldchen eignet sich ideal zum Trocknen und Lagern von Holz. Ein Bach sorgt für die erforderliche Luftfeuchtigkeit, denn das Holz darf nicht zu schnell und nicht zu langsam trocknen.
Am Ende der ersten Werkstunde müssen die Werkzeuge versorgt werden. Jedes hat seinen festen Platz. Die Schüler reihen sich nun vor dem Ausgang auf, um mit einem Handschlag entlassen zu werden. Zuvor aber muss ein Augenblick lauschender Stille eintreten, - man hört eine fallende Stecknadel.
Im Verlauf der weiteren Stunden soll der Fünftklässler sein Taschenmesser mitbringen[1].
An einem etwa 20 cm langen Lindenhölzchen, das er sich eigenhändig mit einem Lummele[2] von einem runden Stamm abspalten darf, schneidet er frei in der Hand feine Spänchen («Engelslöckchen»). Die Faszination ist so groß, dass das Ganze im Kreise sitzende Grüppchen in tiefes Schweigen verfällt. Man hört nur das Messer durch das Holz gleiten und die Späne zu Boden fallen. Vorangegangen ist das Anlernen vom Halten des Werkzeuges und des Holzes. Zunächst kommt es nur auf das «Spänen» an. Die Späne eines Schülers unterscheiden sich von denen seiner Kameraden ebenso deutlich wie ihre Handschriften. Die geringste Mühe erfordern jene feinen Späne, die an den Kanten des gespaltenen Holzes entstehen.


Das Ergebnis ausgiebiger Schnitzübungen ist eine kleine, ovale Säule, aus der zwei Messergriffe entstehen, die zuletzt mit einer hohlen, gehärteten Stahlklinge für das Handschnitzen versehen werden. Der krönende Abschluss ist das Schleifen der Klinge, das der Werklehrer an der Maschine besorgt. Das erste selbst angefertigte Handwerkszeug, das der Schüler behalten darf, ist damit entstanden. Mit einem schützenden Gartenschlauchstück gesichert, kann dieses Messerchen im Schulranzen ruhen. Taschenmesser oder Kerbschnittmesser und das Handhohlschnitzmesserchen, das sind die Werkzeuge des Fünftklässlers, mit Hilfe derer er seine grundlegenden Erfahrungen im Werkunterricht macht.

Die nächste Arbeit ist ein kleines Boot aus Lindenholz. Da wird aus einem Ast zunächst die Außenform mit einem Taschen- oder Kerbschnitzmesser herausgeholt. Darauf wird mit dem Handhohlschnitzmesser das Innere ausgehöhlt.
Wenn das Holz im Saft steht, wird es Zeit für die Maien- oder Weidenpfeife. Sie ist ein richtig spielbares Instrument, eine höhere Stufe der Flöte aus Bärlauch; auf ihr kann man bis zu zwei Oktaven erklingen lassen. Das Blasen darauf erfordert einiges Geschick, denn auf dem stufenlosen Blasinstrument muss jeder einzelne Ton durch exakte Verschiebung des Kerns erzeugt werden.
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Am häufigsten wird dabei Weide verwendet, weil sich die Weidenrinde leicht vom Holz löst und bei der Weide das Abgeschnittene rasch wieder nachwächst. Zunächst wird ein knoten- und astfreies, gerade gewachsenes Ästchen gesucht von einer Handspanne Länge. Etwa 10 - 20 cm vom oberen Abschnitt wird mit dem Taschenmesser eine halbkreisförmige Kerbe in die Rinde geritzt. Von unten wird ebenfalls in etwa 3-4 cm Höhe quer zum Ast ein runder Schnitt durch die Rinde geführt. Mit der Schale des Taschenmessers wird die Rinde rundum vorsichtig beklopft. Nur ganz behutsame Schläge verhindern das Platzen der Rinde. Darauf muss versucht werden, die Rinde als eine ganze Röhre zu lösen. In bäuerlichen Gegenden hatten die Kinder beim Lösen der Rinde die sogenannten «Bastlösreime» vor sich hergesprochen, damit die Rinde leicht und ohne zu reißen vom Holz abgeht:
Der Saft steigt in die Weiden
Da woll'n wir Pfeifchen schneiden
Klopfer, klopfer Ringelchen, mein Pfeifchen pfeift so schön!
Das Pfeifchen ist gelungen,
Drum fröhlich jetzt gesprungen
Klopfer, klopfer Ringelchen, mein Pfeifchen pfeift so schön!
Nun kann ich fröhlich pfeifen Beim durch die Wiese Streifen:
Klopfer, klopfer Ringelchen, mein Pfeifchen pfeift so schön!
Wenn bis jetzt alles gut geglückt ist, kann nun der Block vom übrigen Stäbchen abgeschnitten und senkrecht 1 - 2 cm abgeplattet werden. Dieses Stück wird nun nochmals abgeschnitten und erhält seinen eigentlichen Platz als Mundstück im Rindenrohr. Das restliche Stäbchen kann nun zur Erzeugung einer sowohl stufenlosen als auch durch fleißiges Üben abgestuften Tonleiter durch Verschieben benutzt werden. Die Maienpfeifen sind nur spielbar, solange sie nicht ausgetrocknet sind.
Diese Arbeit lässt sich besonders gut draußen verrichten. Wenn die Schüler ausnahmsweise früher entlassen werden, kann im ganzen Schulhaus der Unterricht kaum weitergehen, so pfeift und schrillt und schallt es in allen Ecken und Gängen...
[1] Das Taschenmesser muss scharf geschliffen sein; mit stumpfen Messern zu schneiden ist gefährlich und unpädagogisch. Der Umgang mit Schneidwerkzeugen im Werkunterricht erfordert größte Umsicht und Verantwortung des Lehrers.
[2] ein Werkzeug, das vor allem zur Schindelherstellung als Spaltwerkzeug benutzt wurde.