UWE BOSSE
so könnte man diese Epoche umschreiben. Während bei handwerklichen Aufgaben jeder Schüler an seinem Werkstück arbeitet, geht es hier darum, gemeinsam eine Aufgabe zu lösen. Bei der Aufgabe, eine Uhr anzufertigen, kommt es z.B. darauf an, gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie ein Zahnrad, von einem Gewicht angetrieben, so gleichmäßig gehemmt werden kann, dass es eine Umdrehung pro Minute bzw. pro Stunde ausführt. Dabei zeigt es sich, dass es für jedes Problem immer mehrere Lösungen gibt, die dann unter Berücksichtigung verschiedener Gesichtspunkte wie Funktionstüchtigkeit, Herstellungsschwierigkeit, Design, Zeit-und Materialaufwand gegeneinander abgewogen werden müssen.
1. Idee: Waaguhr Hemmungsdauer pro Zahn 1 Sekunde

2. Idee: Pendeluhr problematische , Kraftübertragung 1 : 60

3. Idee: Kreispendeluhr (1975 erfunden). Das Waagpendel müsste sich in einer halben Minute um sich selbst drehen, dann könnte man das Minutenrad direkt hemmen.


Ist die Grundidee genügend durchdacht und zeichnend konkretisiert worden, muss ihre Tauglichkeit durch praktische Versuche erwiesen und in ihrer technischen Ausführung verbessert werden. Währenddessen sind noch viele kleine Probleme zu lösen, z.B. Zahnradbau, Aufzugmechanik, Untersetzung 12 : 1 für den Stundenzeiger, Drechseln der Seilrollen usw. Den eigenen Fähigkeiten entsprechend müssen jetzt Teilaufgaben ergriffen und einzeln, zu zweit oder zu dritt so verantwortungsvoll und genau ausgeführt werden, dass sie dem gemeinsamen Projekt dienen können (Arbeitsteilurıg und Teamarbeit). Treten unüberwindliche, also interessante Schwierigkeiten auf, hilft die ganze Gruppe, Lösungsideen zu finden, so dass das erste Modell bald fertig wird und dann als Kleinserie gebaut werden kann.
Kreativität im erfinderischen Planen und problemlösenden Denken kommen in dieser Epoche ebenso zum Tragen wie fachgerechtes handwerkliches Arbeiten. Denn da in der Fertigung viele gleiche Teile herzustellen sind, lohnt es sich, Vorrichtungen, Schablonen und Apparate zu erfinden und zu bauen, mit denen man anschließend schnell und genau arbeiten kann. Durch die Wiederholung eines Arbeitsganges tritt zudem ein Übungseffekt ein wie beim Musiker; und wie im Orchester kann durch Zusammenarbeit aller etwas gelingen, was einer allein nicht zustande brächte.
Die Schüler erleben, wie durch gemeinsame Anstrengung im Denken und Vorstellen Ideen entwickelt werden, wie manchmal auch ein abwegig erscheinender Gedanke weiterführen kann und wie die anfangs oft schemenhaften Vorstellungen durch Skizzen und Zeichnungen immer konkreter werden. Sie lernen vorausplanend das, worauf es ankommt, das Besondere, das Wesentliche zu erfassen und erkennen im gemeinsamen Abwägen, dass die erste Idee durchaus nicht immer die beste sein muss, so es notwendig ist, mehrere Ideen zu entwickeln, um die beste herauszufinden. Sie erfahren, wie durch ihr eigenes Denken eine Idee entsteht und im Tun realisiert wird, wie viele kleine Erfindungen notwendig sind, um das Erdachte wirklich herzustellen, und wie sich dabei das Denken am Tun und das Tun am Denken korrigiert.
Aufgaben mit funktionalem Charakter geben diese Korrektur durch die Sache selbst sehr schnell. Ein Werkzeug, eine Vorrichtung, eine Uhr z.B. funktioniert oder funktioniert nicht, wobei die künstlerische Komponente der Formgestaltung eng mit der Funktion zusammenhängt und von größter Wichtigkeit ist. Ein Werkzeug z.B., das nicht zugleich schön ist und gut in der Hand liegt, wird ungern benutzt und erfüllt seine Funktion unzureichend.
Indem die Schüler zunächst die Aufgaben des Ingenieurs lösen, um anschließend als Arbeiter mit ihren selbstgebauten Vorrichtungen etwas herzustellen, bekommen sie ein tieferes Verständnis für den Schritt vom Handwerk zur Industrie. Hier sei auf zwei Gefahren hingewiesen: Steigen die Schüler nicht genügend ein in die Phase des konstruktiven Denkens, so empfinden sie sich bald als ungelernte Arbeiter und produzieren Ausschuss, vor allem wenn die Stückzahl ein vernünftiges Maß übersteigt. Die andere Gefahr ist die Perfektion bei allzu kleinen Fertigungstoleranzen. Ein mechanisches Glockenspiel mit fünf Tönen kann eine angemessene gute Werkaufgabe sein, ein Glockenspiel mit zwölf Tönen kann bei gleicher Größe eine unbefriedigende Genauigkeitstüftelei werden. «So einfach wie möglich» ist also der eine entscheidende Gesichtspunkt. Der andere ist, kreatives Denken bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu üben. Dabei genügt es oft nicht, ein Problem verbal darzustellen. Manche Schüler können ihr Denken auch nicht an ein paar Kreidestrichen entzünden; sie brauchen, wenn sie z.B. eine Hemmung erfinden sollen, ein richtiges Zahnrad, das sie anfassen und drehen können. Das Denken am Konkreten ist hier von grundlegender Bedeutung.
Im Folgenden soll an Beispielen gezeigt werden, worauf es bei den einzelnen Aufgaben ankommt.
Die mittelalterliche Waaguhr ist die einfachste Form der mechanischen Uhr. Das über der Uhr waagrecht hin- und herpendelnde Waagpendel kann bei entsprechender Größe eine Sekunde hin und eine Sekunde her schwingen. Es ist auf einer senkrechten Achse befestigt. Jeder Zahn des antreibenden Steigrades drückt es durch die in der Achse angebrachten Hemmungen oben in die eine und unten in die andere Richtung. Es muss also für eine Umdrehung pro Minute 30 Zähne haben. Die Schwierigkeit liegt in der Übertragung der Antriebskraft 1 : 60 vom Minutenrad auf das Sekundenrad (Steigrad).
Selbstgefertigte Zahnräder haben zu viel Reibung, Gummiband leiert aus, beim Lederriemen liegt das Problem in der Nahtstelle. Eine praktikable Lösung ist ein mehrfach geführter Faden mit entsprechend kleinem Knoten. Die Untersetzung 12 : 1 vom Minuten- zum Stundenrad ist nur eine Frage des genauen Drechselns.
Um die Reibung möglichst gering zu halten können die Räder, z.B. mit Buchsen aus Messingrohr versehen, auf dünnen Federstahlachsen laufen.

Bei der Pendeluhr wird der Waagbalken durch ein frei schwingendes Pendel ersetzt. Dieses ist in einem über dem Steigrad angebrachten Anker befestigt, der in die Zähne des Steigrades wechselseitig eingreift und die Hemmung bewirkt.
Das Pendel kann bei entsprechender Länge ebenfalls eine Sekunde hin, eine Sekunde her schwingen. Der Vorteil liegt in der größeren Ganggenauigkeit, denn das Pendel wird nicht hin und her gedrückt, sondern schwingt nach der Antriebsphase frei aus; das Steigrad steht für einen Augenblick still und beeinflusst die Schwingungsdauer nicht (Grahamhemmung).
Die Zahnspitzen lassen sich tangential auch genauer schleifen, was ebenfalls die Ganggenauigkeit erhöht. Im Übrigen sind die gleichen Probleme zu lösen wie bei der Waaguhr: Die Pendelaufhängung sollte möglichst wenig Reibung haben.

Das Kreispendel dreht sich, von einem Zahn des Minutenrades über Hebel und Schnur getrieben, eine halbe Minute rechts herum, und vom nächsten Zahn getrieben, wieder eine halbe Minute links herum. Durch Verschieben der Waagpendelgewichte kann die Umdrehungsgeschwindigkeit ziemlich genau reguliert werden. Das Sekundenrad entfällt.

Die formal störenden Seitenrollen fallen weg. Die gleichmäßige Fadenspannung wird durch fächerförmige Hebelarme erzielt, die sich gleichgerichtet wie Scheibenwischer bewegen. Die gegengleiche Bewegung der Hemmungshebel wird durch eine entsprechende Schnurverbindung erreicht.
