MICHAEL MARTIN
Töpfern und Plastizieren erscheinen als nah verwandte Tätigkeiten, so lange man nur Werkstoff und Werkzeug in Betracht zieht. Ihrem Wesen nach sind sie grundverschieden.
Der Töpfer geht beim Formen seiner Gefäße vom runden Innenraum aus. Er bricht die Tonkugel, mit der er beginnt, auf und sondert aus der Weite des Umkreises einen Hohlraum aus. Dieser ist ihm wichtig, weil er etwas aufnehmen, in sich bergen, Hülle sein soll. Sobald sich das Gefäß nach oben verengt, kann man seinen Innenraum weniger einsehen als vielmehr ertasten. Der Tastsinn gestaltet im Zusammenhang mit Bewegung und dem Sinn für Gleichgewicht die Form; diese «Dunkelsinne» sind nicht von Licht und Auge abhängig und können auch im Dunkeln durch die Hand tätig sein.
Beim Plastizieren schwellen die Formen von innen nach außen an oder öffnen sich dem Raum gegenüber in der Hohlform. Es ist belanglos, ob die Plastik im Innern vom Werkstoff erfüllt oder hohl ist. Licht und Schatten bringen das freie Spiel der Flächen dem Auge nah. Das Verhältnis der Plastik zum Raum wird wichtiger; Licht und Weite verändern die Gestalt, arbeiten an ihr mit, Tasten, Bewegung und Gleichgewicht gehen stärker durch das Auge, weil die Plastik in der Regel aus der Distanz wahrgenommen wird. Deshalb ist das Abstandnehmen während der Arbeit immer wieder notwendig.
Das Gefäß ist auf seinen eigenen Mittelpunkt, die Plastik auf die Sphäre bezogen. So beginnt der Töpfer aus dem Zentrum, der Plastiker aus dem Umkreis seine Form zu bilden. Daraus kann man Motive für die Gestaltung der Werkräume ablesen.
Die Töpfermerkstatt will mit der Erde unmittelbar verbunden sein. Wir hatten eine alte Waschküche dafür eingerichtet. Der Zugang führte vom Garten einige Stufen herab, der erdigfeuchte Tongeruch empfing den Eintretenden. Die kupfernen Waschkessel dienten zum Anmischen und Einsumpfen der Tone, die aus dem fränkischen Umland stammten. Wesentliche Vorgänge der Aufbereitung des Tones erlebten die Schüler noch mit. Darauf gründete sich eine «bodenständige» Stimmung, die mit der Arbeit gut zusammenklang.
Selbst das Feuer lodert beim Brennen der Gefäße nicht frei zum Himmel auf, sondern wird in der Enge des Innenraumes von den Steinen des Ofens zurückgeworfen; auch hier die Konzentration nach innen. Letztlich ist sogar das Glasieren eine «Wissenschaft» der Erden und Minerale, so wie man das Töpfern vom Werkstoff her allgemein als erdverbunden erleben kann.
Die fließenden Körpersilhouetten der bauchigen Gefäße auf den Regalen spiegeln dazu das flüssige Element wider, aus dem sie entstanden sind. Das Wandregal mit den farbig bemalten Tellern, Tassen und Kannen bildete einst das Schmuckstück der Bürger- und Bauernküche. Alte Tonnengewölbe würden dem Raum oben einen sinngemäß richtigen Abschluss geben; selbst eine schwach eingewölbte Holzdecke würde schon viel bewirken. Der Fußboden muss nass zu reinigen sein, um den trockenen Tonstaub zu binden, der der größte Feind des Glasierens ist. Letzteres sollte unbedingt in einem gesonderten Raum geschehen.
Der Plastizierraum dagegen braucht Licht und Weite, die auch von oben her einwirken können durch Oberlichte. Allerdings muss auch an die Möglichkeit guter Schattenbildung gedacht werden; im Licht allein zerfließt die Form. Durch die Plastik wächst der Mensch in die Weite des lebenerfüllten Raumes hinaus. Es sollte immer erreicht werden können, dass die Schüler beim Plastizieren stehen. Die Aufrechte in der eigenen Gestalt aktiviert die Gestaltungskraft der Hände bei der Formgebung. Die Tische können deshalb auch höher sein und durch Modellierböcke ergänzt werden. Gleichzeitig sollte man darauf achten, dass der Fußboden für das Stehen elastisch ist, etwa durch Holzfußboden, der auf Kanthölzern verlegt ist.
Becher, Schüsseln und Schalen bilden gerne Gruppen, z.B. um einen Krug herum; sie sind gesellig. Verhältnismäßig selten sind Plastiken gruppenweise aufgestellt. Denn jede Plastik braucht ihren eigenen Umkreis, den Raum, in dem «sie sich wohlfühlt», der ihr entspricht. Krug, Vase und Schale werden aus der mechanischen Organisation der Hand heraus gestaltet; deshalb sind sie bei genügender Übung wiederholbar, auch in unterschiedlicher Größe. Wenn man sie um ihre Achse dreht, ist ihr Anblick ringsum der gleiche; erst später werden Henkel und Schnaupe des Kruges eingearbeitet. Auffällig ist auch, dass heute übliche Formtypen meist auf Grundformen zurückgeführt werden können, die bis in die Vorzeit zurückreichen. Das beweist eine unendlich langsame Entwicklung und «fast zögernd zu nennenden Wandel»[1]. Die Plastik dagegen zeigt bei jeder kleinen Drehung ein anderes Gesicht; sie hat im Lauf der Jahrhunderte fortdauernde Entwicklungen durchgemacht. Sie wird von der lebendigen Organisation, den frei bewegten Gliedern der Hand geschaffen und ist einmalig.
Auch von der Notwendigkeit eines bestimmten Zweckes ist sie befreit, der sich der Töpfer immer verpflichtet fühlen muß. Ein Krug, der seiner Aufgabe als Gefäß nicht gerecht wird, erniedrigt sich selbst zur Dekoration. Diese Bindung an eine Aufgabe, die aus Bedürfnissen des menschlichen Leibes entspringt, hat das Töpfern mit der Baukunst gemeinsam; dadurch rückt es in die Nähe der Urmutter der Künste, der Architektur. Es ist raumschaffend tätig.
Bei der Plastik kommt es auf die Darstellung einer Kraftentfaltung, einer Dynamik des menschlichen Körpers, eines Tieres oder auch nur einer Flächenbewegung an. Sie äußert sich durch frei im Raum stehende Formen oder gestaltet als Relief den Raum mit. Sie ergreift und erfrischt die lebentragenden, Leben gestaltenden Kräfte des Menschen.
So werden bei Plastik und Gefäß ganz verschiedene Ansätze deutlich, die selbstverständlich ineinander übergehen, ja oftmals bewusst umgekehrt werden. Dass mit dieser skizzenhaften Darstellung keine Wertung verbunden ist, sei nachdrücklich betont.
Aus dem Erleben dieser Gegensätzlichkeit und den Gegebenheiten unserer Schule war es mir immer ein Anliegen, Töpfern und Plastizieren nicht im selben Raume zu unterrichten. Jeder Werkraum sollte, ideal gesehen, seinen eigenen Charakter haben. Dadurch wird das Arbeitserlebnis der Schüler von der Stimmung des Raumes her mit getragen und gestützt.
[1] W. Dexel, «Keramik, Stoff und Form» 1958