MICHAEL MARTIN
«Bei einem Besuch in Freiburg (Breisgau) im Jahre 1919 gewahrte Rudolf Steiner auf dem Schrank eines Kinderzimmers ein bewegliches Spielzeug, einen primitiven Sägemann. Er ließ sich das Stück herunterreichen, nahm es liebevoll in die Hand und sagte: <So etwas sollte gemacht werden.'«[1]
Dieses Erlebnis schildert Max Wolffhügel, der seit dem Herbst des Jahres 1920 den «künstlerischen Handfertigkeitsunterricht»[2] an der ersten Waldorfschule in Stuttgart unter der leitenden Hand R. Steiners aufbaute. Es ist die Geburtsstunde des beweglichen Spielzeuges, das seither von den Kindern der 7. Klassen an in den Waldorfschulen hergestellt wird. Bevor die erste Schule begann, war die Idee dazu bereits geboren! Man kann daraus ermessen, wie wichtig R. Steiner diese Sache war. Später ist er in seinen pädagogischen Vortragskursen immer wieder auf dieses Thema zu sprechen gekommen und hat dazu sehr verschiedenartige
Anregungen gegeben[3]. Man muss dabei bedenken, dass das Spielzeug der damaligen Zeit erschreckende Tendenzen zum Starren, Mechanischen zeigte, das die kindliche Phantasie, aber auch den Aufbau der noch ganz bildsamen Organe des Kindes festzulegen und materialistisch einzuengen drohte.
Nun wird es aber eine besondere Frage sein, warum R. Steiner solchen Wert darauf legte, dass die Kinder etwa von der 7. Klasse ab bewegliches Spielzeug aus Holz selber erfinden und herstellen sollen. Dieser Vorgang muss also dem Lebensalter, in dem sich die Kinder befinden, entsprechen und günstig auf ihre Entwicklung einwirken - ganz unabhängig davon, welchen Einfluss diese Dinge dann auf die Spielenden ausüben. Dazu hat sich R. Steiner auch in verschiedenster Weise geäußert: Einmal sagt er, dass die Kinder durch die Herstellung von beweglichen Spielsachen geschickt werden und Freude daran haben[4], ein andermal wird die «innere Beweglichkeit» betont[5], dann die «seelische Verbindung zwischen dem Leben des Kindes und dem Leben in der Welt»[6]. Dabei spielt der humoristische, herzhaft-heitere Einschlag der lustigen Bewegungen von Tier und Mensch, die durch Drehung, Hin- und Herbewegen, Einwirken der Schwerkraft oder Ziehen usw. hervorgerufen werden, eine wichtige Rolle. Alle diese Hinweise aber befriedigen den ernsthaft Suchenden noch nicht; denn Freude, Geschick, Verbindung mit dem Leben usw. kann man ebenso gewinnen durch das Stricken von Strümpfen, das Schnitzen einer Schale oder das Eintopfen von Blumen im Gartenbau.
Das sind noch keine spezifischen Wirkungen von der Herstellung beweglichen, also «mechanischen» Holzspielzeuges!
Die grundlegenden Elemente der Mechanik werden in der 7. Klasse behandelt, während andere wesentliche Gebiete der Physik im Anschluss an die Sinneserfahrungen des Menschen wie Sehen, Hören, Tasten usw. bereits in der 6. Klasse vorausgegangen sind. «Mechanik» ist ja etwas sehr Totes. Sie wirkt sich vornehmlich in unseren Bewegungen aus, insofern diese zwar nicht ausgeführt, aber doch getragen und gestützt werden vom Knochenbau. Das sind ganz unbewusste Vorgänge; wer denkt etwa an sein Knochensystem, wenn er sich bewegt? Und doch bildet es die Grundlage für die Haltung unseres Körpers im Stehen, Bewegen oder Sitzen.

Das Verhältnis des Kindes zu seinem Knochensystem ändert sich nun entscheidend.[7] Wir beobachten auf dem Schulhof, beim Gartenbau oder Turnen, wie die Bewegungen der Kinder vom 6. Schuljahr an immer schwerer, ungeschickter, knochiger werden und alle Anmut und Grazie der Kindheit aus ihrem Körper entweicht. Kann man sich noch daran erfreuen, wenn Achtklässler bei einer Monatsfeier[8] auf der Bühne Eurythmie machen, mit ihren fast wie von außen geführten, ungelenken Gliedern, und mit schweren Schritten ihre Gestalt im Kreis fortschleppen? Man wird insofern an Marionetten erinnert, als deren rein mechanische Gestalten von außen her gehalten und bewegt werden. Dem Begriff der «Marionette» haftet dadurch heute ein negativer Beigeschmack an; nicht so, wenn man bedenkt, wie schwerelos und anmutig sie sich bewegen kann!
Heinrich von Kleist hat sehr tiefgründig über die Marionetten nachgedacht und dadurch Anregung zu Gedanken über unser Problem gegeben.[9] Notwendig ist, dass der die tote Mechanik bewegende Faden am richtigen Schwerpunkt eines Körperteiles befestigt wird. Würde unter dieser Voraussetzung der Faden in einer einfachen Geraden fortbewegt, so könnte bereits eine anmutige Bewegung aus der Marionette hervorgelockt werden. Das aber gelingt nur, wenn sich die Seele des Spielers ganz mit diesem Vorgang verbindet. Der Weg des Fadens ist nichts anderes als der Weg der Seele des Spielers, die sich ganz in den Schwerpunkt der Marionette versetzt, sich also selber bewegen muss.
Dem erwachsenen Menschen gelingt es nicht leicht, bewusst mit seiner Seele in seinen Bewegungsorganismus unterzutauchen; was das Kind in seiner natürlichen Anmut und Beschwingtheit unbewusst darlebt, wird, wenn es mit dem Bewusstsein des Erwachsenen nachahmend versucht wird, nur allzu leicht von Eitelkeit gefärbt oder kränkt als gezierte Bewegung den Zuschauer. Mit dem Wach-Werden der Seele gehen Eitelkeit, Koketterie und jede Art von Selbstbespiegelung in der Bewegung Hand in Hand. Hierin hat es die Marionette leichter als der Mensch: weil sie selbst ein reiner Mechanismus ist, kann sie sich nicht zieren. Nach diesem Blick auf die Marionette wenden wir uns wieder der offenbar gleichartigen Situation des Schulkindes zu, aus dem im 13., 14. Lebensjahr die natürliche Anmut seiner Bewegungen gewichen ist, weil das Muskelsystem vom Skelett mehr und mehr abhängig wird. «Später, nach dem 12. Jahre, beherrscht das Knochensystem, das sich in die äußere Welt hineinstellt, das Muskelsystem und von da aus Geist und Seele.»[10] Aufgabe ist es nun, die neu erwachende Seele richtig mit ihrem eigenen «Körpermechanismus» zu verbinden.
Der junge Mensch wird wach für seine Umwelt wie für sich selbst, er nimmt bewusster als bisher seinen eigenen Körper, seine eigene Gestalt wahr. Nur allzu leicht schleichen sich Eitelkeit und Koketterie oder gar Arroganz mit diesem Wachwerden in die eigenen Bewegungsfunktionen ein. Wurden wir nicht längst schon im Betrachten dieses Lebensalters an den «Sündenfall» erinnert, durch den sich die Seele des Menschen fest mit ihrem Körper verband? Damals wurde der Anstoß für das Fortschreiten des Menschen gegeben durch das Eingießen
der Begierden und Wünsche in die Seele, die diese durch den Leib befriedigen konnte. Leib und Seele wurden eine Einheit, mussten dafür den paradiesischen Zustand der Unschuld verlassen. Das bedeutet für unser Thema: Die kindliche Anmut wich aus den Bewegungen ihrer Glieder, welche sich nun tätig der Erde zuwenden mussten, um den Acker mit Hilfe rein mechanischer Arbeitsbewegungen zu bebauen.
Leiten wir das Kind in diesem Lebensalter an, aus Holz bewegliche Spielzeuge herzustellen, wird sein ganzes Interesse, sein ganzer Witz und Verstand darauf gelenkt, mechanische Bewegungen gleichsam außerhalb seines Körpers zu erfinden. Mit seiner Seele muss es ganz hineinschlüpfen in die objektive Bewegungsmechanik, wenn diese wirklich funktionieren soll. Da ist Eitelkeit oder Koketterie nicht gefragt, da gilt nur sachliches Denken, neugieriges Probieren, gefolgt von herzlicher Freude, wenn es gelungen ist! Die Seele verbindet sich objektiv mit der unbewusst erlebten Mechanik des eigenen Körpers - ein echtes Inkarnationsmotiv: Kann sich die Seele während der Reifezeit so entwickeln, dass sie sich mit den Schwerpunkten des Bewegungsorganismus bis in den Knochenbau hinein verbindet, werden anmutige, natürliche Bewegungen des Körpers auch nach der Reifezeit die Folge sein.
Gleichzeitig mit den so starken Veränderungen in der Entwicklung des kindlichen Willenslebens um das 12. Lebensjahr, die sich durch das Dominieren des Knochensystems in den Bewegungen zeigen, werden auch im Gegenpol des Seelenlebens, dem Denken, Entwicklungsschritte getan. Allerdings handelt es sich hier um ein viel schwierigeres Problem, das im Unterricht wohl praktisch gehandhabt werden kann, dessen genaue Vorgänge aber nicht ohne weiteres «nachweisbar» sind. Trotzdem bilden sie eine grundlegende Stütze für das Verständnis dieses Lebensalters.
Im Denken leben nicht nur bildhafte Elemente, sondern auch willenshafte, die vom 12. Lebensjahr an stark hervortreten. Das Denken verbindet sich nun tiefer mit dem Organismus, bis in die Knochen hinein; am festesten und dichtesten System des Menschen leuchtet es gleichsam auf und wird dadurch fähig, auch die festen und dichten, die unorganischen Elemente und Vorgänge unserer Welt zu verstehen. «Indem wir ins 12. Jahr eintreten, lernen wir ein solches Denken, das nach der Willensnatur seine Vorgänge in den Knochen, in der Skelett- Dynamik hat. Wir machen da den wichtigen Übergang vom weichen System des Menschen zum ganz harten System, das sich - ich möchte sagen - wie ein objektives Hebel-System in die Welt hineinstellt.»[11]
So wie jeder einzelne Knochen in sich abgeschlossen an den anderen grenzt, werden nun die Gedankenfolgen logisch-klar aufgebaut, von Gedanke zu Gedanke gerüsthaft fortschreitend. Hier liegen die Keime für kausales Denken; jetzt wird das Kind reif für das Verstehen von Ursachen und Wirkungen. Dem Kenner der Geisteswissenschaft R. Steiners ist es nicht ungewohnt, von verschiedenen «Arten» des Denkens zu sprechen. Das ist nicht inhaltlich gemeint. Man kann die Äußerungen eines Kleinkindes nicht verstehen, wenn man sie mit dem Sachverstand des Erwachsenen misst. Von Stufe zu Stufe entwickelt sich das Denkvermögen qualitativ weiter. Das Kind wird nicht einfach quantitativ verständiger, sondern versteht z.B. etwa vom 12. Lebensjahr ab die Gebiete der Welt des Irdisch-Mineralischen als sein Eigentum, gleichsam mit innerem Behagen, während es vorher nur ein äußerlich Angenommenes, Angelerntes, ein reines «Im-Kopf-Behalten» sein würde. Körperliche und seelische Entwicklung gehen Hand in Hand.
Für das spätere Erwachsen-Sein sind diese Entwicklungsschritte in der Kindheit von wesentlicher Bedeutung. R. Steiner führt wiederholt aus, wie wichtig es z.B. für die Entfaltung eines lebendigen, imaginativen Denkens ist, in der Jugendzeit handwerkliche Tätigkeiten oder Feldarbeit geleistet zu haben, weil die Willensanstrengung durch die Muskeln grundsätzlich der Willensanstrengung in einem lebendigen, bildhaften Denkprozess entspricht.[12]
Triebe, Begierden und Wünsche sind an Fleisch und Blut gebunden und haben subjektiven Charakter. In vergangenen Zeiten war «Fleischeslust» etwas, das man verabscheute und bekämpfte. Von «Knochenlust» hat niemand je gehört, denn die Knochen sind trieb- und begierdelos, sie sind dem Blick verborgen und dienen in selbstloser Weise, unbemerkt in aller Stille dem Menschen. Gerade deshalb bieten sie dem Körperbau entscheidende Stütze, sicheren Halt. Will man frei in die Welt hinausschreiten, ohne dabei von Begierden und Instinkten beeinflusst zu sein, ohne seinen Trieben zu folgen, muss man mit seinen Bewegungsimpulsen gleichsam in den Knochenbau eintauchen und von hier aus seinen Körper in Bewegung setzen. Man muss «sich seines Fleisches und Blutes entledigen» und Skelett werden, «wirklich erdhaft werden»[13], um als freier Mensch in die Welt zu treten.
Gelingt es, seine Gedanken mit der kristallklaren Logik, aber doch ganz lebensvollen Dynamik des Knochenbaues zu durchdringen, befreit man den eigenen Willen, der diese Gedanken hervorrufen muss, von allem Emotionellen.
Gelingt es andererseits, von der Mechanik des Knochenbaues aus seine Körperbewegungen zu gestalten, die Seele in den richtigen Schwerpunkt der Körpermechanik zu setzen, kann man frei von Eitelkeit und Koketterie seinen Körper in der Welt bewegen. Denken und Bewegung - beide durchdringen sich vom 12. Lebensjahr an mit dem Willen, der zuerst durch seine Bindung an das Skelett vom übermäßig Trieb- und Begierdehaften befreit werden muss, welches sich in der Reifezeit mit dem Heraufkommen des Willens besonders geltend macht. So wird der Grund gelegt für die Freiheit in Denken und Tun durch die Verbindung des Menschen mit dem totesten System, seinem Knochenbau. Im Durchgang durch den Tod liegt der Keim einer neuen Freiheit, die sich der junge Mensch erwerben kann. So merkwürdig es auch klingt: Mineralogie, Mechanik und eben auch die Herstellung von beweglichem Spielzeug helfen, wenn sie dem Kind im richtigen Lebensalter nahegebracht werden, bei dieser Entwicklung.
Nun wollen wir den Blick wenden auf die Bewegungen, die dem Körper des Menschen durch den Bau seines Skeletts eigen sind. Wir beginnen bei der kugeligen Gestalt des Kopfes, der - abgesehen davon, dass der Mensch grundsätzlich nach vorne ausgerichtet ist - universell sphärische Drehbewegungen ausführen kann. Er ist punktuell in den obersten Wirbeln der Wirbelsäule gelagert. Kugel- und Kreisformen hat sich der Mensch überall da nutzbar gemacht, wo es gilt, Schwerkraft und Reibung so weit wie möglich zu überwinden. Die Räder eines Eisenbahnwaggons z.B. berühren die Schiene jeweils nur an einem winzigen Punkt, auf dem dessen gesamtes Gewicht lagert, wodurch die Reibung so verringert wird, daß eine geringe Kraft große Lasten fortbewegen kann. Dasselbe Prinzip wird bei den Kugellagern angewendet. Kugelförmige Gebilde, die in kreisenden Kräftebahnen die Schwere ihrer Stofflichkeit überwinden, finden wir auch bei den Planeten.

Die Füße dagegen sind einer geraden Bewegungsrichtung nach vorne zugeordnet. Die Gelenke der Zehen ermöglichen nur eine sehr eingeschränkte Auf- und Abbewegung, die Knie sind durch ihr scharnierartiges Klappgelenk ganz in die Bewegung nach vorne eingebunden. Soweit die Beine auch beschränkte Kreis- oder Seitenbewegungen ausführen können, verhelfen ihnen in erster Linie die Kugel gelenke der Hüfte dazu. Die gerade Ausrichtung der Beine und Füße steht der kreisenden Bewegung des Kopfes polar gegenüber. Die sphärische Bewegung, die im Kopf am universellsten ist, geht in Armen und Beinen nach unten zu immer mehr in die gerade Bewegungsrichtung über, in Fingern und Zehen herrscht die einfache Auf- und Abbewegung absolut vor. So sind «Gerade» und «Rundung» im Bau des menschlichen Skelettes und den dadurch ermöglichten Körperbewegungen bestimmend. Beine und Füße sind durch ihre Konstruktion in der Lage, den ganzen Körper fortzutragen. Zu der kreisförmigen kommt also die fortschreitende Bewegung hinzu.
Anne und Hände nehmen - abgesehen davon, dass wie bei den Beinen grundständig die kreisende Bewegung im Schultergelenk, die Auf- und Abbewegung in den Fingern vorherrscht - eine Sonderstellung ein. Elle und Speiche können sich um eine zwischen ihnen gedachte unsichtbare Achse drehen, wodurch sich Unterarm und Hand im Zusammenhang mit dem Schultergelenk so ungebunden zu bewegen vermögen, dass sie in ihrer Beweglichkeit fast keiner Einschränkung unterworfen sind. Das schönste und treffendste Bild der Freiheit wird lebendig, wenn man die Bewegungen der Hände einmal bewusst verfolgt. Sie scheinen auch von der Schwere nicht im geringsten berührt, und das selbstlose Untertauchen ihrer Knochengebilde ins Unbewusste wird hier in besonderem Maße deutlich. Für Arm und Hand ist die rhythmische hin- und herführende Bewegung charakteristisch. Dabei wird uns vielleicht erst jetzt klar, wie die Beine ausschließlich der Vorwärtsbewegung dienen; eins ergänzt dabei im Wechsel das andere; eine zurücknehmende Bewegung würde ja das Fortschreiten verhindern. Auf der rhythmischen Bewegung der Arme beruht ein großer Teil aller Arbeitsvorgänge, die der Mensch ausführen kann. Wir haben also drei Grundtendenzen vor uns:
Kopf: sphärische Bewegung, leibliche Grundlage des Denkens
Arme / Hände: rhythmische Bewegung, leibliche Grundlage des Fühlens
Beine / Füße: fortschreitende Bewegung, leibliche Grundlage des Wollens
Zur mechanischen Bewegung außerhalb des Menschen im Bereich des rein Physikalischen heißt es bei H. v. Baravalle: «Tritt man vor eine Maschine, so lässt sie sich, ganz unabhängig davon, wie weit man bereits mit ihrem Zwecke oder ihren technischen Einzelheiten vertraut ist, zu einem Gegenstände denkender Beobachtung machen. Eine erste Orientierung besteht schon darin, sich darüber Rechenschaft zu geben, welche Teile einer Maschine sich bewegen und welche in Ruhe bleiben und nur den anderen als Stütze dienen. Danach wird man die verschiedenen Arten der Bewegungen verfolgen. Drei große Gruppen lassen sich dabei unterscheiden. Am häufigsten findet man bei Maschinen Drehbewegungen, die von allen Rädern, Zahnrädern usw. ausgeführt werden. Dann gibt es Bewegungen, die einen rhythmischen, immer wiederkehrenden Verlauf nehmen, wie z.B. die Bewegung eines Messers, das sich erst hebt und dann senkt, um etwas abzuschneiden, oder die mannigfaltigen Bewegungen von Greifern, die etwas hinlegen oder abheben. Eine dritte Art bilden die fortschreitenden Bewegungen. Solche führt ein von einer Maschine bearbeiteter Gegenstand aus, ein Werkstück. Es tritt in die Maschine ein, durchläuft sie und verlässt sie wieder.»[14]


Wir stellen fest, dass unsere vorhin am Menschen vorgefundenen Bewegungssysteme auch diejenigen der Maschine sind, jetzt vom Menschen losgelöst und verselbständigt. Baravalle führt sie auf Naturerscheinungen zurück. Die Drehbewegungen finden wir in den Bewegungssystemen der Gestirne wieder; die rhythmischen Bewegungen in allen Lebens Vorgängen bei Mensch und Tier, aber auch - allerdings sehr verlangsamt - bei den Pflanzen. Die fortschreitende Bewegung sieht Baravalle in größtem Maße verwirklicht durch die Bewegungsabläufe von Wind und Wasser.
Nehmen wir eines der alten, in der ersten Waldorfschule in Stuttgart entstandenen beweglichen Spielzeuge, die schon sprichwörtlich gewordene «Waldorf-Ente». Sie wird durch Ziehen fortbewegt, verwandelt dabei die drehende Bewegung der Räder in eine rhythmische: die Hin- und Herbewegung des Kopfes und Schnabels. Sie hat also alle drei Bewegungssysteme in sich. Sie verbindet den Schüler, der sie erfunden hat, letztlich mit den grundständigen mechanischen Bewegungssystemen unserer Welt. Ob er mit Begeisterung bei der Sache war? Wir hoffen es, denn dann hat er seine wachsende Seelenkraft innig mit der Mechanik seines Werkes verbunden und dadurch gleichzeitig die Mechanik seines eigenen Knochenbaues in sich ergriffen - ohne Eitelkeit oder Koketterie, die ihn beim klaren Durchdenken und Ausführen der Bewegungsfunktionen und Formen seiner Ente nur gehindert hätte.
Wir sind versucht zu sagen: Die Herstellung von beweglichem Spielzeug in der beginnenden Reifezeit bietet eine Hilfe, die Nöte des «Sündenfalles», des Herabsteigens auf die Erde leichter zu bewältigen. Die Mechanik fordert unerbittlich, ernüchternd - und durch das Werkmaterial Holz trotzdem warmherzig - ein sachliches Eintauchen in ihre Gesetze und befreit das Kind im klaren Denken und Tun vom Übermaß des Gefühlslebens, das sich in der humorvollen Gestaltung der Bewegung gleichsam harmlos beteiligen und ausdrücken kann.
[1] Aus einem Aufsatz M. Wolffhügels in «Erziehungskunst» 1952, Heft 5/6
[2] Siehe Fußnote 1
[3] R. Steiner, GA 305, 23.8.1923, GA 307, zur Ausstellung von künstlerischen und kunstgewerblichen Arbeiten der Waldorfschüler am 8.8.1923 und Vortrag vom 10.8.1923
[4] R. Steiner, Konferenzen, GA 300, 22.9.1920, GA 305, 23.8.1922
[5] R. Steiner, GA 305, 23.8.1922
[6] R. Steiner, GA 294, 2.9.1919
[7] R. Steiner, GA 303, 2.1.1922
[8] In den „Monatsfeiern“ werden an den Waldorfschulen regelmäßig Beispiele aus dem Unterricht vorgebracht, woran die ganze Schule teilnimmt.
[9] H. v. Kleist, „Über das Marionettentheater“
[10] R. Steiner, GA 305, 22.9.1922
[11] Siehe Fußnote 7
[12] R. Steiner, GA234, 20.1.1924, GA 316, 8.1.1924
[13] R. Steiner, GA 316, 8.1.1924
[14] H. b. Baravalle, Physik, 1. Band: Mechanik