MICHAEL MARTIN
An meinem Auto schätze ich besonders die Motorhaube. In Prospekten wird sie niemals erwähnt; sie leistet keine kW und verbraucht keinen Sprit, wie das, was unter ihr verborgen ist. Alles an ihr ist eigentlich uninteressant, - sie passt sich unauffällig zwischen die Kotflügel ein. Zwar bietet sie Schutz gegen Nässe und vermindert den Luftwiderstand; aber der unter ihr angebrachte Motor ist von unten her jeder Witterung ausgesetzt, und ich glaube, dass bei genauerem Zusehen die Frage der Luftströmung hier nur eine untergeordnete Rolle spielt. Trotzdem würde mir ohne sie etwas Wesentliches fehlen! Sie scheint ein fast unnützer Gegenstand zu sein, und das ist ihre besondere Größe. Denn ihre Aufgabe ist, einen Teil der Hülle zu bilden, die, obwohl nur aus Blech und Lack bestehend, das ganze Fahrzeug umschließt wie mit einer Haut. Was würde sonst alles zum Vorschein kommen! Das ganze Gewirr von Apparaturen, Schläuchen, Schrauben, dieses für den Laien völlig undurchschaubare Durcheinander unzähliger Kleinigkeiten, von denen wir wissen, dass alles nach zwingenden Notwendigkeiten angeordnet ist, damit das Auto fahren kann. Was unter dieser «Haut» verborgen ist, ist entscheidend für die Funktion, aber es befriedigt nicht unser Auge, unser Ohr, unseren Tastsinn, in denen sich eine tief verborgene Sehnsucht nach Harmonie, nach «Schönheit» kundtut, die im Menschen liegt und «Nahrung» braucht.
Der Motor schöpft sein Brummen aus einer anderen Quelle als der Musiker seine Melodien.
Warum erleben wir das Zuschlagen einer Tür so anders als den Gesang eines Menschen? Das eine gehört dem Bereich des Anorganischen an, das andere quillt aus der Welt des Beseelten. Das eine entstammt dem Reich des Nützlichen, das uns unsere Intelligenz als Helfer für unsere Lebensverhältnisse geschaffen hat; aber diese Dienste leistet es uns aus dem Unbelebten, Mechanischen, Toten. Daher holt es folgerichtig die Töne, die es für seine Existenz braucht - ob es nun klappert, knarrt, brummt oder dröhnt - auch aus diesem Gebiet. Das müssen wir für die unschätzbaren Hilfen durch die Technik in Kauf nehmen.
Der «Hunger nach dem Schönen» urständet im Seelisch-Geistigen des Menschen und ist durch Schrauben, Schläuche oder Zahnräder nicht zu befriedigen, auch wenn diese eine «schöne Form» haben. Aus diesem Erlebnis schreibt der Architekt Hans Poelzig (1869 - 1936): «Alle rein technischen Erwägungen sind dem Künstler von vornherein ein Greuel. Und wenn er auch weiß, dass dieses rein Technische nicht zu umgehen ist, dass es bewältigt werden muss, so weiß er doch auch und fühlt beständig, dass das Technische im Leben der heutigen Zeit eine viel zu große Rolle spielt, und er wird wieder von neuem den Kampf gegen die Herrschaft der Technik aufnehmen. Technische und künstlerische Anschauungen bleiben krasse Gegensätze.»[1]
Es wäre sicher nicht sinnvoll, nun allen Leitungen, Drähten, Hebeln im Auto eine «schöne Form» zu geben; ich bin mit Blech und Lack, d.h. also auch mit der Motorhaube, die hier mein Bedürfnis nach «Schönheit» vertritt, indem sie die Technik umkleidet und sonst darüber hinaus kaum einen nutzbringenden Auftrag erfüllt, wohl zufrieden. Hat doch selbst der Mensch seine Haut, die äußerst wichtige Funktionen in der Abgrenzung von der Umgebung und in der Verbindung zu dieser wahrnimmt. Auch in unseren Häusern und Wohnungen werden die Rohre und Leitungen versteckt; wo sie offen angebracht sind, fühlen wir uns nicht wohl. Technik, d.h. der nützliche Aspekt unseres menschlichen Daseins, ist grundsätzlich notwendig, hilfreich, aber oft auch hässlich und laut, gefährlich und in vieler Hinsicht heute lebensfeindlich, also nicht nur Not wendend, sondern wiederum Not schaffend. Deshalb soll sie verdeckt, verborgen werden. Das Gehäuse, das ein Gerät umhüllt, schützt uns vor diesem und zugleich auch dieses vor schädigenden Einflüssen von außen. Das rein Technische möchte man, weil es aus dem toten Bereich unseres Daseins entwickelt wurde, mittels einer Grenze vom Menschen fernhalten und versucht, in diese durch Form und Farbe «Schönheit» hineinzubringen. Dieses Bemühen hat durch die Schaffung guter Industrieformen reiche Früchte getragen. Uns wird dadurch bewusst, dass Zweck und Schönheit in der Technik keineswegs identisch sind; sie treffen sich vielleicht am vollkommensten dort, wo die Formen sich in das Elementarische weitgehend einfügen wie beim Segelboot oder dem Segelflugzeug. Da ist aber kein mechanischer Antrieb nötig, der verborgen oder geschützt werden müsste!
Es gibt natürlich viele andere zweckmäßige Dinge, in denen kein Mechanismus enthalten ist, wodurch das Problem von innen und außen, von Technik und Schönheit im oben gemeinten Sinne nicht auftritt. Da sind z.B. Werkzeuge, mit denen der Mensch schon seit Jahrtausenden umgeht: Die Axt, der Löffel, die Säge - um ein paar Beispiele zu nennen. Alle diese Dinge waren nicht nur zweckmäßig, sondern zugleich schön; der Mensch gestaltete sie über das technisch Notwendige hinaus und erhob sie dadurch in die Sphäre einer höheren Vollkommenheit, von der Michelangelo sagt: «Nichts macht die Seele so fromm und rein als die Mühe, etwas Vollkommenes zu schaffen: denn Gott ist die Vollendung, und wer ihr nachstrebt, der strebt dem Göttlichen nach. Die Kunst gehört keinem Lande, sie stammt vom Himmel.»
Das gilt auch für die künstlerisch gestalteten Geräte, von denen wir sprechen. Sobald man die Form mehr nach der reinen Notwendigkeit, dem Zweck gestaltet, verblasst die Schönheit oder geht ganz verloren. Denn der «Zweck» entstammt nicht dem Himmel, sondern der Notwendigkeit erdgebundener, irdischer Gesetzlichkeit.
Wir erleben auch hier wie überall die Tragik der Ur-Polaritäten, die unsere Welt in ihrem jetzigen Entwicklungszustand durchmachen muss. Aus diesen Spannungen ergeben sich Steigerungen und Ansätze zu ganz neuen Schöpfungen durch den Menschen.
Kehren wir nun in unsere Werkstatt zurück und sehen, welche Folgen unsere Gedanken für die praktische Arbeit haben.
Wir werden nun der Frage nachgehen, wie sich Zweck und Schönheit eines Rührlöffels vereinen lassen und welche Formen sich daraus entwickeln können.

Wenn ein Kochtopf einen geraden Boden hat, so entspricht das einer Notwendigkeit, weil sich die Hitze der Heizspiralen unter der Kochplatte so am zweckmäßigsten übertragen lässt. Es ist ja kein Feuer mehr da, dessen Flammen an einer Rundung leichter emporzüngeln könnten. Der Topf ist dadurch nicht mehr so schön, passt auch nicht mehr zu dem Flüssigen, was er aufnimmt, und nicht mehr zu den Strömungen, die sich beim Erwärmen eines flüssigen Kochgutes in ihm bilden. Es ist alles abstrakt geworden. Auch der Rührlöffel kann ganz abstrakt sein, wenn seine Form sich nur auf das Allernotwendigste beschränkt: den geraden Stiel, das runde Blatt. Er ist wie ein Form gewordener Begriff und erfüllt seinen Zweck. Er hat aber weder eine Beziehung zu dem Topf noch zu dem Menschen, der ihn in der Hand hält - immer von der Form aus gesehen. Deshalb leistet er zwar das Notwendigste, ist aber noch nicht zweckmäßig!
Das wird er erst, wenn man seine Form auf die gerade Ebene des Topfbodens abstimmt und berücksichtigt, dass man ihn wegen der Hitze, die aus dem Topf aufsteigen kann, schräg hält und vielleicht am anderen Ende so verdickt, dass er nicht mehr so leicht aus der Hand rutscht. Er passt sich dadurch dem Topf und der Hand an und kann so seinem Zweck viel besser gerecht werden. Wir können aber noch weitergehen und versuchen, etwas vom Rühren selbst in die Form des Rührlöffels hineinzubilden: den Schwung des Drehens, das Fließende des Flüssigen. Dann müsste die Form sich nochmals verwandeln! Durch das Rühren werden Hand, Löffel und Topf, die vorher voneinander unabhängig, jedes für sich selbst bestanden, in einen Vorgang miteinander verschmolzen. Aus dem Zustand des räumlichen Nebeneinander wird ein zeitlicher Vorgang des Miteinander. Genau betrachtet, ist der Rührlöffel die verlängerte Hand, der die Hitze des Gekochten nichts anhaben kann.
Wenn wir selbst einmal in einem Eimer oder Becken eine Flüssigkeit mit der Hand rühren, bemerken wir noch etwas vielleicht Unerwartetes: Es entwickelt sich ein rhythmischer Vorgang. Die Hand will sich unwillkürlich öffnen, wenn die Bewegung des Kreisens vom Arm nach außen geführt wird; nach innen herein entsteht die Tendenz, die Hand mehr zu schließen. Auch das Handgelenk macht im Drehen gleichzeitig die Bewegung innen - außen mit. Wir können unser Erlebnis verstärken dadurch, dass wir auch einmal mit steif gehaltenem Arm, mit starr ausgestreckter Hand rühren und empfinden, dass das nicht lebensgemäß, sondern abstrakt ist - wie der Rührlöffel, der nur aus rundem Blatt und geradem Stiel besteht. Aus der Folge von Ausbreiten und Zusammenziehen im zeitlichen Ablauf wird Rhythmus geboren, der in der Tätigkeit des Rührens das räumliche Nebeneinander der Dinge überwindet.

Darüber hinaus tauchen wir in die Welt rhythmischen Geschehens überhaupt ein, der unsere Atmung, der Herz-Rhythmus, der Wechsel von Schlafen und Wachen, die Jahreszeiten usw. angehören. Allem Lebendigen liegen rhythmische Prozesse zugrunde. So wie unsere Welt einerseits aus leblosen Gegenständen besteht, die im räumlichen Stillstand zueinander verharren, so entwickelt sich im lebendigen Bereich Form aus Form durch Entstehen und Vergehen. In dieser Sphäre des Lebendigen sind schöpferische, nur in den Auswirkungen, den Veränderungen ihrer Formen wahrnehmbare Kräfte tätig. Kräfte sind nicht sichtbar; sie wirken aber in allen rhythmischen Prozessen aufbauend oder abbauend. Im Zeitlichen kann man sie erfassen, wie alle Erscheinungen, die einem Wechsel unterliegen[2].Nimmt nun eine Form aus einem irdischen Werkstoff etwas von den rhythmischen Prozessen an, in denen sie tätig ist, erscheint sie als «künstlerisch» gestaltet: sie ist «schön». Sie breitet sich, dehnt sich, zieht sich wieder zusammen, strömt fort, staut sich am Ende..., wie unser trivialer Rührlöffel, von dem wir ausgegangen sind. Wir können wählen, welche Form wir ihm geben wollen:

Jede der drei Zielsetzungen führt zu anderen Formen des Arbeitens. Nehmen wir nun an, wir wollten einen Rührlöffel herstellen, der nur der ersten Gegebenheit entsprechen soll. Dann können wir ein Brett passender Stärke wählen aus möglichst astreinem Ahorn- oder Birkenholz. Wir fertigen eine saubere Zeichnung mit Zirkel und Lineal, übertragen sie auf den Werkstoff und sägen nun, nachdem wir das Brett senkrecht in die Vorderzange der Hobelbank eingespannt haben, mit der Schweifsäge - genügend neben dem Strich - die Form heraus. Danach raspeln wir die beim Sägen entstandenen Unebenheiten sauber zurecht, bis die Form nun wirklich mit der Vorzeichnung übereinstimmt. Mit dem Hohleisen wird aus dem Blatt eine flache Grube ausgehoben, sodann der Stiel zuerst achteckig geraspelt, damit das nachfolgende Ausrunden umso besser gelingen kann. Das Ganze wird sauber geschliffen, danach zweimal gewässert und im Wechsel nochmals geglättet. Untadelig liegt das Werk vor uns: Stiel und Blatt. Wie viele Menschen auch nach dieser Methode vorgehen würden - die Formen ihrer Rührlöffel müssten alle ähnlich aussehen, sich weitgehend gleichen. Denn die Form ist von außen objektiv vorgegeben, ist in der Zeichnung schon fertig, bevor die Hand beginnen kann zu arbeiten.
Lassen wir Kinder so werken, lernen sie Werkzeug und Hände zu beherrschen und exakte, unbestechliche Arbeit zu leisten. Sie werden in objektive Werkvorgänge rein handwerksmäßiger Art eingeführt. Jeder Arbeitsgang folgt logisch auf den anderen, jede Abweichung kann zum Fehler werden. Es muss keineswegs sein, dass Kinder für diese Art zu schaffen keine Begeisterung aufbringen könnten; sie erleben darin Stützkraft, Halt und Struktur. Und trotzdem ist der Mensch mit seinem seelischen Erleben nur wenig beteiligt, die Form gehört nicht zu ihm, sie liegt außerhalb seiner selbst.
Wollen wir nach der dritten Art verfahren, müssen wir ganz anders beginnen. Verschieden geformte Kochtöpfe, groß und klein, laden dazu ein, mit den vielgestaltigen, soeben erst aus dem Stamm gespaltenen Ahorn-Holzscheiten darin probeweise zu rühren. Jedes Scheit hat andere Form, andere Größe. Welches sagt mir am meisten zu? Etwa das durch einen Ast in Krümmung gebrachte, oder das mit der feingewellten oder glatten Holzfaser? Auch die beiden Enden des Holzstückes werden geprüft, ob sich das eine besser für das Blatt eigne als das andere. Dann beginnt das frische Gehämmer mit dem Klöpfel, denn der Stiel muss wesentlich schmaler werden als das Blatt. Das Hohleisen lässt die Späne fliegen! Die Breite der Hand, die Dicke der nebeneinandergelegten Finger, die Spanne geben das Maß, das Auge schätzt ab und gebietet Halt. Keine Vorzeichnung nimmt voraus, was im Augenblick noch gar nicht da ist, die Form wächst im mitempfundenen Prozess der Tätigkeit selbst. Dabei entsteht eine sich steigernde Spannung, wie die Form nun wirklich wird! Der Lehrer achtet auf sorgsame, fachgerechte Führung des Werkzeuges, auf werkmäßige Handgriffe und sachkundiges Einspannen. Es darf kein Drauflosstürzen sein! Das rein Handwerksmäßige gibt auch hier im freien Gestalten der Form Stützkraft und Halt. Zuletzt ist der Rührlöffel sorgsam geglättet und unterscheidet sich von jedem anderen durch seine individuelle Form. Dem Zweck entsprechen sie alle, obwohl jeder die unverwechselbaren Spuren seines Schöpfers an sich trägt. Sie zeigen etwas vom Fluss des Rührens, der sich im Fluss der Form widerspiegelt. Das alles sind Charakteristika des Künstlerischen.

Rudolf Steiner hat sich sehr klar darüber geäußert, wie der damals so benannte «Handfertigkeitsunterricht» in der Werkstatt geführt werden solle. Vom Lehrer verlangte er einen Blick für Exaktheit; die Kinder müssten genaues Arbeiten lernen. Andererseits müsse der Unterricht wirklich vom Künstlerischen durchdrungen sein, getragen vom «künstlerischen Geist» des Lehrers.[3] Max Wolffhügel, in dessen Hand die handwerklich-künstlerische Arbeit noch durch Rudolf Steiner gelegt wurde, schrieb in einem Aufsatz:
«Für die Führung des künstlerischen Handfertigkeitsunterrichtes an unseren Waldorfschulen lag es Rudolf Steiner sehr am Herzen, dass der Werklehrer nicht nur eine gute fachliche Ausbildung, zumindest aber eine voll ausreichende Orientierung in der Holzbearbeitung habe, sondern dass er zugleich eine freikünstlerisch schaffende Persönlichkeit sei, die Können und Bildung in sich mit pädagogischem Enthusiasmus vereinigt. Ich glaube, dass nur aus dieser Verfassung heraus es voll möglich ist, auf das gesetzmäßig Objektive hinzielend, schöpferisch-anregend auf die Kinder zu wirken.»[4] In diesem Aufsatz M. Wolffhügels finden wir auch Hinweise für die Holzarbeit in der Werkstatt: «Sie ging von kleinen, harmonisch geometrisierenden Formgestalten aus, fand ihre Fortsetzung in asymmetrischen, zur Gleichgewichtslage sorgfältig ausgearbeiteten größeren Stücken.» Es wurde schon einmal darauf aufmerksam gemacht, daß die Asymmetrie im Fortschreiten der Reifezeit eine immer größer werdende Rolle spielen darf; darüber soll später ausführlicher berichtet werden. Im pädagogischen Vortragswerk R. Steiners ist ein solcher Hinweis aber nicht zu finden; vielmehr ist anzunehmen, dass er aus einer mündlichen Bemerkung stammt. Diese Aussage Wolffhügels führte dazu, dass bei dem Wiederaufleben der Waldorfschulbewegung nach dem 2. Weltkrieg an vielen Schulen eine Methode in der Mittelstufe gepflegt wurde, die wir oben als die «zweckmäßige» bezeichnet haben; sie musste von der Vorzeichnung ausgehen, um die «geometrisierenden Formgestalten» exakt handwerklich herstellen zu können.
Dagegen aber betonte Rudolf Steiner in seinen Vorträgen, dass die praktischen Arbeiten aus der Werkstatt den Charakter des freien Arbeitens und künstlerischer Gestaltung haben sollten. Das Kind soll aus seinem kindlichen Willen heraus tätig sein, wie schon mehrfach betont worden ist. Der Lehrer darf nicht «vorschreiben», sondern nur lenken, anleiten, das Gewollte möglich machen. In diesem Wollen wirkt das, was das Kind aus anderen Erlebnissen mitbringt. So werden wir zu grundlegenden Zielsetzungen in der Methode des Werkens geführt, die R. Steiner so formuliert hat: «Die Kinder haben das, indem der Unterricht so artistisch gestaltet wird, wie ich es dargestellt habe in den letzten Tagen, lebendig aufgenommen. Es ist bis in ihren Willen gegangen, nicht bloß in ihre Gedanken, in ihre Köpfe. Und dann sieht man, wenn sie nun darangehen, so etwas zu machen, dass das in ihren Händen weiterlebt. Die Formen werden andere, je nachdem wir im Unterricht das eine oder das andere treiben. Es lebt sich in den Formen aus. Man sieht es dem, was die Kinder plastisch schaffen, an, was in den Stunden morgens von 8-10 Uhr getrieben wird, weil das, was als Unterricht erteilt werden soll, eben in den ganzen Menschen hineingeht.»[5]
Ein Jahr später gipfelt diese Idee vom Zusammenklingen der Polaritäten von Denken und Wollen im ganzen Menschen, die sich im mittleren Bereich durchdringen, in folgender Weise: «Man bringt die beiden Dinge nur zusammen, wenn das Wissen von selber in das Können übergeht und das Können zu gleicher Zeit so getrieben wird, dass es überall vom Denken, vom seelischen Erfassen, vom geistigen Miterleben durchzogen ist.»[6]
Soll das Wissen aber «von selber» in das, was das Kind tut, übergehen, muss dieses frei schaffen können, muss in die Tätigkeit der Glieder fließen lassen können, was in ihm selber lebt. Leite ich es an zu sicherer Handhabe des Werkzeuges, zu sauberer handwerklicher Gesinnung, so biete ich ihm Halt in der freien Gestaltung des Werkstückes, die aus der rechten Aufgabenstellung erwächst.
Wir hatten nun zuerst ein Beispiel aus der Welt der Geräte gewählt, um die Verschiedenheit einer handwerklichen oder künstlerischen Auffassung derselben Sache gegenüber darzustellen. Deutlicher werden beide Wege noch bei der Herstellung eines Holztieres, das man als Spielzeug gebrauchen und etwa in der 7. Klasse anfertigen kann.
Was soll der Lehrer als Vorbereitung tun? Geht er in den Tiergarten, um Form und Bewegung zu studieren, oder greift er zum Skizzenbuch,zum Ton oder zu einem Buch mit Abbildungen? Alles kann er tun, auch die gemüthaften Schilderungen aus Brehms Tierleben werden ihm helfen. Sucht er den oben als «rein handwerklich« bezeichneten Weg, dann genügt es, die Form soweit zu erfassen, dass man das Tier auf eine dicke Holzdiele in seitlicher Ansicht aufzeichnen kann. Es wird dann nach der Linienführung ausgesägt, danach exakt dem Umriss nachgeraspelt und dann mit Raspel oder Hohleisen plastisch rund herausgearbeitet. Zur Fertigstellung kann je nach Geschick feingeschnitzt oder geglättet werden.
Zu einer «künstlerischen« Arbeit bedarf es mehr; da muss wiederum versucht werden, die statische Form so zu verwandeln, dass sie dynamisch wird; das räumliche Formgebilde muss in Bewegung umgesetzt werden. Ich muss versuchen, ganz in die spezielle rhythmische Bewegungsart dieses Tieres hineinzuschlüpfen, dann erst kann ich seine Gestalt verstehen. Durch dynamisches Zeichnen, wie es z.B. in dem Buch von A. U. Clausen und M. Riedel vielfältig angeregt wird[7], ist es mir zur Erfahrung geworden: Habe ich aus dem Verfolgen der Linie des Rückgrates die richtige Krümmung gefunden, ist das ganze Tier in seiner Bewegungsform plötzlich da. Körper und Beine sind dann nur «Zutaten», hängen nur so daran. Das Wesentliche ist, wie die Strömung des Rückgrates vom Kopf angefangen bis zum Schwanzende sich ausstreckt, staut, einbuchtet, krümmt, wiederum streckt usw. Kann man denn aus dieser linearen Bildung des Rückgrates beim Pferd nicht sehen, dass es galoppiert? bei dem Löwen, dass er schleicht? und wie das Känguru hüpft?

Die Bewegung des Tieres ist in seine Gestalt eingegraben. Aus dieser kann man die Bewegung entdecken. Das fängt schon beim Knochenbau an. Noch tiefer greifen wir ein, wenn wir uns darum bemühen, mit der Triebnatur eines Tieres gleichsam eins zu werden. Denn der Trieb bewirkt die Bewegung des Tieres, lebt sich in dieser aus. Unablässig beobachte man, wie sich die Gestalt des Tieres verändert, wenn es lauscht oder wittert, wie der Trieb das Tier durchzittert und schließlich zur Bewegung wird; oder wie sich die trieblose Ruhe in der
Gestalt auslebt. Dann taucht man ebenso in rhythmische Prozesse ein wie bei der Gestaltung des Kochlöffels, dann wird man dem Kinde eine gute Anleitung geben können, wenn es vielleicht auch nur in sehr bescheidenem Maße in der Form eines Holztieres seinen Ausdruck findet.[8]
Durch diese inneren Erlebnisse des Tierhaften werden wir veranlasst, anders an unser Vorhaben heranzugehen als durch die äußere tote Form desselben. Wir müssen zuerst den Rücken vom Kopf bis zum Schwanz gestalten. Wir nehmen dafür einen halb aufgespaltenen Stamm, legen ihn waagrecht und schnitzen auf die Stirnseite des Holzes zu Rücken und Nacken heraus. Gewiss kann man für die erste Orientierung den Verlauf der Rückenlinie auf der geraden Seite des Halbholzes aufzeichnen; es nützt nicht viel: mit den ersten Spänen des Hohleisens wird sie weggeschnitzt. Man muss aus der plastischen Form, nicht aus der abgrenzenden Linie arbeiten! Denn es soll nicht ein von der Seite gesehener Umriss entstehen, sondern die Wölbung von Rücken und Hals. Durch die einseitige Rundung des Holzstückes ist eine leichte seitliche Drehung der Tiergestalt veranlagt, die noch verstärkt werden kann, so dass die starre Achse Vorn - Hinten überwunden wird. Zuletzt werden die Beine herausgeschnitzt und die fertige Form vom Block gesägt.
Können Kinder solcherart «künstlerisch» gestalten? Nur durch die führende Hand, den «künstlerischen Geist» des Lehrers. Ein freies künstlerisches Schaffen ist erst möglich, wenn durch die Erdenreife die eigentliche Phantasie erwacht und eigenwillig in das gestaltende Geschehen eingreift. Vorher sind die Kinder noch viel lockerer und ungefesselt von Vorstellungszwängen; deshalb können sie leicht auf diese Arbeitsweise eingehen. Ihre schöpferische Kraft ist noch in den Körper und seine Bewegungsvorgänge eingebunden. Dadurch aber ist wiederum jede gestaltende Äußerung des Kindes - Kunst!
[1] Nach Behne, «Der moderne Zweckbau»
[2] R. Steiner hat diese Kräfte als «ätherische Bildekräfte» in vielen Zusammenhängen seines Werkes beschrieben.
[3] R. Steiner, GA 300, Konf. vom 30.7.1920
[4] M. Wolffhügel in «Erziehungskunst», Mai/Juni 1952
[5] R. Steiner, GA 305,23.8.1922
[6] R. Steiner, GA 307,17.8.1923
[7] Clausen / Riedel, «Zeichnen - Sehen lernen!»
[8] Siehe auch R. Steiner GA 98, 7.6.1908, GA 221, 17.2.1923 u.a.m.